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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0018
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mit den Privatbauten messen konnten: nämlich der Pal. dei
Tribunali und die Fassade der Zecca. Der Justizpalast blieb
nach dem Tode Julius’ II. in den Anfängen liegen; und die
Fassade des Banco di S. Spirito verdankte ihre Entstehung
wohl nicht zuletzt der Gewinnsucht des Kardinals Armel-
lini. Andere öffentliche Bauten wie die Hospitäler von
S. Giacomo in Augusta oder S. Rocco wurden von freiwilli-
gen Bruderschaften getragen und kamen schon wegen
finanzieller Schwierigkeiten kaum über das rein Zweck-
hafte hinaus15. Kein Zweifel: das Gemeinwesen, das öffent-
liche Wohl, das in der Bautätigkeit republikanischer Städte
wie Florenz und Siena oder noch der beiden Rovere-Päpste
Sixtus IV. und Julius II. dominiert hatte, tritt seit dem
Regierungsantritt Leos X. im Jahre 1513 in erstaunlichem
Maße in den Hintergrund. Paul III. war mehr am Bau des
Pal. Farnese, der Rocca Paolina oder der Stadt Castro als an
der Erneuerung der kapitolinischen Paläste oder der Voll-
endung des Justizpalastes gelegen.
Selbst auf dem Gebiet des Sakralbaus macht sich nun der
wachsende Egoismus der Baugesinnung geltend. Während
im ausgehenden Quattrocento mehrere große Kirchen wie
S. Maria del Popolo, S. Maria della Pace, S.Agostino oder
S. Pietro in Montorio in relativ kurzer Zeit hochgeführt
wurden, konnte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
kein einziger Bau von vergleichbaren Ausmaßen abge-
schlossen werden (S. Maria di Monserrato, S. Giovanni dei
Fiorentini, S. Marcello, S. Luigi dei Francesi, S. Spirito in
Sassia). Gewiss: ein beträchtlicher Teil der päpstlichen Gel-
der floß in den gigantischen Neubau von St. Peter, und die
wirtschaftliche Krise nach dem Sacco di Roma wirkte sich
besonders auf Bauunternehmungen aus. Dennoch bleibt es
bemerkenswert, daß sich das Schwergewicht der Bautätig-
keit in unserer Epoche unverkennbar vom Sakralbau auf
den Profanbau verlagert: Auch’wenn nicht alle der über
fünfzig Palast- und Villenbauten von Rang zum Abschluß
gebracht werden konnten, so befinden sie sich gegenüber
den Sakralbauten doch weit in der Überzahl. Ja, einige der
führenden Meister wie Giuliano da Sangallo, Peruzzi,
Giulio Romano, Jacopo Sansovino oder Giovanni Man-
gone haben in Rom vor allem auf dem Gebiet des Profan-
baus bleibende Spuren hinterlassen. Konnten sich im
15. Jahrhundert nur wenige Profanbauten mit den reprä-
sentativen Sakralbauten messen, so nimmt nun die Profan-
baukunst einen völlig gleichberechtigten Platz neben der
Sakralarchitektur ein, ja scheint sie sogar zu überflügeln.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sollte dann die
Religiosität der Gegenreformation dem Sakralbau zu einem
neuen Aufschwung verhelfen.
15 Giovannoni 1959, 238 ff.; Fromme! 1961, 174.

Es nimmt nicht Wunder, daß die allmähliche Steigerung
des sozialen Anspruchs auch die Künstler zu eigenen Pa-
lästen ermutigte. Julius II. und Leo X. hatten die ersten
Meister Italiens nach Rom gezogen und ihnen Aufträge
und Gehälter zukommen lassen, die alle früheren Maßstäbe
sprengten. Das Vorbild der Päpste fand allgemeine Nach-
ahmung, und so wurden die Künstler bald zu den gesuch-
testen Persönlichkeiten Roms. Bramante und Sebastiano
erhielten die fette Pfründe des Frate del Piombo; Raffael
zögerte die Hochzeit mit der Nichte des Kardinals Bibbiena
hinaus, weil er, wie Vasari meint, auf den Purpur hoffen
durfte; Giulio wurde von dem Grafen Baldassare Castig-
lione und dem Markgrafen von Mantua umworben, Michel-
angelo von Päpsten, Kardinälen, Herzögen und dem König
von Frankreich.
Bereits Giuliano da Sangallo und sein Bruder Antonio
hatten sich seit 1490 in Florenz einen Palazzetto errichtet
und mit alten und neuen Kunstwerken geschmückt16.
Raffael ging einen Schritt weiter und erwarb 1517 mit
Bramantes Pal. Caprini eben jenen Bau, der in seinen be-
scheidenen Abmessungen und seinen antikischen Formen
den römischen Palastbau des 16. Jahrhunderts eingeleitet
hatte. Kurz vor seinem Tode plante er dann einen Neubau
in Roms Prachtstraße, der Via Giulia, dessen Monumental-
ordnung, vierseitiger Säulenhof und bequeme Innendispo-
sition gewiß den Neid manches Kardinals erregt hätten.
Nach 1520 folgten die Häuser Giulios, Lorenzettis, Peruzzis
und des Goldschmieds Crivelli, 1534 ff. Sangallos Haus in
Via Giulia und um 1543 der Ausbau des Pal. Sacchetti.
Weder im Typus noch im Anspruch lassen sich die Häuser
Raffaels und Sangallos von jenen der Bischöfe, Prälaten und
Patrizier unterscheiden.
Begegnen wir also nach den wenigen großen Kardinals-
residenzen des Quattrocento nun auf einmal einer Vielzahl
architektonisch hochrangiger Paläste und Palazzetti in
breiteren Schichten der Bevölkerung, so stellt sich die Frage
nach dem Charakter dieses neuen sozialen Anspruchs.
Ging es allein um Repräsentation und Geltungssucht? War
es die zweifelhafte Eitelkeit von Neureichen, die das Glück
hatten, über fähigere Architekten zu verfügen als manche
neuere Epoche? Was veranlaßte gerade unverheiratete Prä-
laten dazu, ihr Vermögen in Unternehmungen anzulegen,
auf deren vollen Genuß sie selbst nicht immer hoffen konn-
ten? Wurden wirklich, wie Ackerman meint, die Bequem-
lichkeiten des täglichen Lebens der Repräsentation, der
Darstellung der Macht des Bauherrn geopfert?17
Die Fassadeninschrift des Pal. Ferratini zu Amelia besagt
16 VasMil, IV, 217; Clausse, I, 178f„ 211 ff.
17 Ackerman 1961,1, 77 ff.
 
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