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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0027
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munaler Eigenständigkeit im Süden. Doch die wachsende
Ohnmacht und Resignation der bürgerlichen Selbstverwal-
tung äußerte sich bald auch im Stadtbild: Während die
Päpste seit Nikolaus V. mit der Erneuerung ihrer Basilika
und ihres Palastes begannen und sie seit Julius II. zum
Zentrum abendländischer Bautätigkeit machten, blieb der
kapitolinische Hügel bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts eine
glanzlose Stätte. Erst allmählich und nur durch päpstliche
Hilfe erwachte er zu neuem Leben. Bezeichnenderweise
wird der große Markt um 1471 vom Kapitol auf Piazza
Navona verlegt. Fast alle bedeutenden Palastbauten der
Hochrenaissance befinden sich im nordwestlichen Tiber-
knie und nicht in der Nähe des Kapitols. Die magnetische
Wirkung des Vatikans als des politischen, sozialen und
finanziellen Machtzentrums war zu stark. Fast alle neuen
Bauherren standen in direkter oder indirekter Beziehung
mit der Kurie. Sie war nicht nur die wichtigste Geldquelle,
sondern auch das Sammelbecken humanistischer Gelehr-
samkeit und neuer künstlerischer Ideen.
Es ist nicht bekannt, ob einer der Renaissancepäpste
einen Bebauungsplan für ganz Rom ausarbeiten ließ. Die
Projekte Nikolaus’V. konzentrierten sich vor allem auf
Vatikan, Borgo und die Basiliken. Sixtus IV. trat als Bau-
herr von Kirchen und öffentlichen Einrichtungen (Ospe-
dale di S. Spirito) wie als Förderer von Plätzen (Piazza
Navona, Campo dei Fiori, Piazza di Ponte, Kapitolsplatz),
Straßen (Borgo S. Angelo) und Brücken (Ponte Sisto) her-
vor. Alexander VI. und sein architektonisch bewanderter
Camerlengo, Raffaele Riario, begannen wichtige neue Ver-
kehrsadern wie die Via Alessandrina und die Via della
Lungara. Julius II. öffnete die Via Giulia und verbreiterte
die Via di Banco S. Spirito. Leo X. und Clemens VII. kon-
zentrierten sich auf Via Ripetta und die angrenzenden
Zonen, Paul III. auf Piazza Farnese und Kapitol. Straße
um Straße, Viertel um Viertel wurden reguliert, saniert und
für die Bebauung erschlossen, doch erst Sixtus V. ließ einen
Plan aufstellen, der alle Viertel umfaßte und von einem
funktionell durchdachten Gesamtkonzept ausging. Immer-
hin geben gerade die urbanistischen Maßnahmen Braman-
tes und Raffaels zu erkennen, daß man größere Zusammen-
hänge als nur die einzelnen Straßen und Plätze im Auge
behielt.
Funktionell gesehen standen die Päpste und ihre Mit-
arbeiter vor drei wichtigen Aufgabenkreisen: Es mußten
bessere Verkehrsverhältnisse geschaffen werden; die
öffentlichen Einrichtungen wie Befestigung, Wasserver-
sorgung, Kanalisation, Pflasterung, Reinlichkeit, Kirchen,
Hospitäler, Häfen, Märkte, Universität, Verwaltungs-
gebäude usf. mußten verbessert und erweitert, die private
Bauinitiative angeregt werden. Für alle diese Aufgaben war

die Apostolische Kammer zuständig, eines der mächtigsten
Verwaltungsressorts der Kurie, das die Kompetenzen eines
Innen-, Wirtschafts-, Finanz-, Landwirtschafts-, Woh-
nungsbau- und Verkehrsministeriums für Rom und den
Kirchenstaat in sich vereinigte und dem ein Kardinal, der
Camerlengo, vorstand5. Nur auf wenigen Sektoren wie der
Organisation der römischen Universität oder dem Schutz
der Altertümer behauptete die Kommune noch ein Stück
Selbstverwaltung. Immerhin rekrutierte sich die Exekutive
der päpstlichen Baubehörde, die „Magistri Stratarum“,
nicht aus kurialen Klerikern, sondern aus verdienten Mit-
gliedern des römischen Patriziates, der Schicht also, in der
der republikanische Gedanke noch am lebendigsten war.
Allerdings wurden sie nicht gewählt, sondern von der Kam-
mer auf Vorschlag für ein oder mehrere Jahre ernannt und
arbeiteten im Dienste und auf Rechnung der Kammer. Sie
verfügten über einen eigenen juristisch ausgebildeten As-
sessor, einen Notar und einen Untermeister - „sotto-
maestro“ -, der Architekt sein sollte6. In der Praxis der
Hochrenaissance waren fast alle Petersbaumeister zugleich
als fachliche Ratgeber der Straßenmeister und damit als
architektonisch Planende tätig. Uber die Art ihrer Zusam-
menarbeit fehlen allerdings nähere Unterlagen. Erhalten
haben sich lediglich allgemeine Gesetze und Verordnungen
sowie die Listen der Straßensteuern.
Solche Straßensteuern wurden den Anliegern einer neu
regulierten Straße, eines neuen Platzes oder auch eines
öffentlichen Gebäudes wie der Fassade der Zecca (Banco di
S. Spirito) oder der Porta di S. Spirito abverlangt. Unter
Pius IV. sollten die Stadttore durch eine den Dirnen und
das Kapitol durch eine den Studenten auferlegte Steuer
finanziert werden7.
Auf die Bautätigkeit nahmen sogar die Kapitel, Kon-
vente, Hospitäler und Bruderschaften Einfluß. Als Adriano
Caprini im Jahre 1500 ein Grundstück vom Ospedale di
S. Spirito erwarb, mußte er sich verpflichten, innerhalb von
wenigen Jahren ein Haus zu errichten. Ähnliche Verpflich-
tungen mußten A. da Sangallo d. J., Raffael und andere ein-
gehen, als sie nach 1514 in Via Giulia Grundstücke vom
Kapitel von St. Peter erwarben. Kamen sie ihrer Baupflicht
nicht nach, so sollte das Grundstück an das Kapitel von
St. Peter zurückfallen. Außerdem übte das Kapitel ein Cen-
susrecht über Teile der Via Giulia aus und war damit berech-
tigt, alljährlich von den Eigentümern eine feste Grund-
steuer zu erheben, es sei denn, diese Pflicht wurde durch eine
einmalige Zahlung abgelöst. Fast jedes römische Grund-
5 Del Re 1952, 265ff.
6 Del Re 1920, 5 ff.
7 op.cit.; Ackerman 1961, II, 52.

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