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Die frankophile Politik Leos X., die Anlage der Via
Ripetta und der Beginn der französischen Nationalkirche
fallen also sämtlich in die Jahre 1516-1519. Vieles spricht
dafür, daß A. da Sangallos d. J. Palastprojekt UA 1259 mit
seiner offenkundigen Beziehung zur Piazza S. Luigi wäh-
rend der gleichen Jahre entstand und nicht bereits 1513.
Vieles spricht weiterhin dafür, daß der Pal.Madama, die
künftige Residenz des mit Franz I. verschwägerten Lorenzo
dei Medici, eine städtebauliche Einheit mit der französi-
schen Nationalkirche und der Via Ripetta bilden sollte und
daß diese Einheit nicht zuletzt von politischen Überlegun-
gen bestimmt war. So wie die wichtigsten Straßen Julius’ II.
auf die Lage des Nepotenpalastes bezogen wurden, so auch
die wichtigste Straße Leos X. Doch während das Projekt
Julius’II. primär der Kurie zugute kommen und einem all-
gemeinen Bedürfnis abhelfen sollte, ging es Leo X. um die
Manifestierung dynastischer Interessen, stand sein Projekt
viel stärker unter familienpolitischem Vorzeichen.
Wenn dann die Via Ripetta auf ihren einen Pol, den neuen
Medicipalast, verzichten mußte, so hatte das wiederum poli-
tische, finanzielle und familiäre Gründe: familiäre, da 1516
und 1519 die beiden weltlichen Nepoten Leos X. starben;
politische, weil sich seit der Wahl Karls V. zum römischen
König im Juli 1519 die Beziehungen der Kurie zu Frank-
reich sichtlich verschlechterten; und finanzielle, weil der
geistliche Nepot des Papstes, Kardinal Giulio dei Medici,
gegen 1517 mit dem Bau der Villa Madama begann.
Der zweite Ausgangspunkt für die Planung der Via
Ripetta war die Porta del Popolo, das wichtigste Stadttor
Roms, durch das seit dem Mittelalter die meisten Pilger,
Kaufleute und Gesandtschaften in die Heilige Stadt ein-
zogen. Lediglich die Via del Corso, die antike Via Flaminia,
war breit und gerade genug, um diesen Verkehr flüssig in
das Stadtzentrum weiterzuleiten. Doch gerade die Via Fla-
minia hatte an Bedeutung verloren, seit sich der Stadtkern
nach Nordwesten verlagert hatte. Es fehlte eine breite Ver-
bindungsstraße zu den neuen Vierteln um Piazza Navona,
und diese Aufgabe sollte die Via Ripetta übernehmen.
Breite Querstraßen wie die Via Tor di Nona und die Via dei
Coronari boten sich für den Anschluß an die „City“ in den
Banchi an. Wenn man analog zur Via Ripetta auch eine neue
Achse östlich der Via del Corso plante, die heutige Via del
Babuino, so hatte man dabei wohl Zweierlei im Auge: ein-
mal die städtebauliche Erschließung dieser östlichen Zone
und zum andern eine Straße für den Durchgangsverkehr
von Mittel- nach Süditalien. Gelang es, durch Aufschüttun-
gen und Abgrabungen die Anhöhe des Quirinais zu über-
winden, so konnte man eine geradlinige Verbindung zwi-
schen Porta del Popolo und S. Giovanni in Laterano her-
stellen, von wo die Via Appia ihren Ausgang nahm. Der

Umweg über Via del Corso und über das unwegsame Ge-
lände zwischen Piazza Venezia und Kolosseum ließ sich da-
durch vermeiden. Außerdem ergab sich erst durch die Pla-
nung der Via Babuino die Chance, Piazza del Popolo durch
jenen nahezu regelmäßigen Dreistrahl auszuzeichnen, der
zu den originellsten und zukunftsträchtigsten Beiträgen der
Renaissance zur europäischen Urbanistik überhaupt gehört.
Raffaels Projekt beschränkte sich schwerlich auf die ab-
strakte Trassierung zweier neuer Straßen und auf die Um-
wandlung der Piazza del Popolo in einen funktionsgerech-
ten „Verteilerkreis“38a. Wir wissen durch Sangallos Entwurf
UA 1232, daß man die Aufstellung des 1519 bei S. Rocco
gefundenen Obelisken auf dem Platze - „per la guglia del
popolo“ - erwog39 (T. 194a). Und im Dezember 1520 muß
sich ein Bauwilliger verpflichten, sein zwischen Via del
Corso und Via Ripetta geplantes Haus an der Erdgeschoß-
front gegen Piazza del Popolo mit Travertin zu verkleiden,
38a Die Einbeziehung der Via del Corso in Raffaels Projekt läßt sich
spätestens in den Januar 1519 datieren, wie aus folgendem Tage-
bucheintrag des M.A. Michiel hervorgeht (Michiel, Diarii, fol.
293v): „... Fu salizata, et drizzata in Roma una strada, ehe va da
Campo Marzo al Popolo di danari scossi da cortigiane, il pretesto
della angabia impostali fu l’andar ogni sabato alla divotione al
Popolo, Et benche la strada costasse ducati 500 pur’ si diceva esser
stati scossi 5000 ne senza ramarico delle favorite, le qualäconcoren-
tia l’una dell’altra pagavano piu di quello erono tansade per farsi
di maggior riputazione, et perche ad ogni modo li cortigiani alla
fine facevano la spesa. II Papa cavalcö a vederla, et piacqueli, et
disse voler far similmente la Flaminia ehe va dal Popolo al Capito-
lio, cioe slargarla drizzarla, et salizzarla, come era anticamente“.
Noch zu Lebzeiten Raffaels waren Teile des Platzes vor S. Maria
del Popolo freigelegt worden. Das geht aus einem Protest des
Aldobrandino Orsini, Bischof von Nicosia, vom 22. VI. 1520 her-
vor (ASR, Corpor. Religiöse Masch., Agostiniani di S. Maria del
Popolo, vol. 128, fase. 16, S. 3f.): ,,... refutavit at renuntiavit
Conventus ortum positum infra Moenia Urbis in opposito dicte
Ecclesie ... cum iam sint plures menses quod Magistri Edificiorum
et Stratarum Urbis pro ampliatione vie de nove facte et pro platea
ante dictam Ecclesiam jam facta muros anteriores dicti orti demo-
liri feceruntacmultosarborescumvitibusincidipreceperunt incisi
sunt et apparent, et propter ista et certis aliis causis...“ Dieser Gar-
ten war erst 1514 an A. Orsini verpachtet worden:,,... ortum po-
situm in conspectu dicte Ecclesie infra moenia Urbis, via publica
mediante cui ab uno latere sunt moenia Urbis ...“ (loc.cit.). Die
Einbeziehung der Via Babuino in das Platzprojekt läßt sich erst für
das Jahr 1525 nachweisen, wenn auch Leo X. ausdrücklich als
einer der beiden Initiatoren des Dreistrahlprojektes genannt wird:
„Leo X. et Clemens VII. Medices fratres patrueles pontifices
maximi flaminiam intra urbem trifariam divisam adhibitis vicorum
magistris direxerunt sectiones de suo nomine Leoninam Clemen-
tiasque appellari iusserunt anno iubilei ...“ (Reumont, III, 873;
G. Matthiae, Piazza del Popolo, Rom 1946, 9 f.). So spricht vieles
dafür, daß Raffaels Projekt nicht nur Via Ripetta, Via del Corso
und Piazza del Popolo, sondern auch Via Babuino und die Ver-
bindung von Platz und Dreistrahl umfaßte.
39 Bartoli, III, fig. 397; G. Eimer, Die Stadtplanung im schwedi-
schen Ostseereich, 1600-1715, Stockholm 1961, 81; D’Onofrio
1965, 155f.

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