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Fassade an, der den nötigen Abstand herstellte, ohne durch
die späteren Brunnen verstellt zu werden.
Der Pal. dell’ Aquila, die Piazza del Popolo, die Piazza di
Ponte und vielleicht auch die Piazza Farnese beweisen, wie
rasch das Prinzip des Dreistrahls sich in der römischen
Architektur ausbreitete - lange bevor Sixtus V. und sein
Architekt D. Fontana ihrem polyzentrischen Regulierungs-
plan ein radial ausstrahlendes Sternsystem zugrunde leg-
ten59. Dieses Dreistrahlsystem kann als „kritische Form“
für den Visualisierungsprozeß der römischen Urbanistik
der Hochrenaissance gelten.
Diese wenigen repräsentativen Beispiele mögen gezeigt
haben, wie falsch es ist, die Architekturen der römischen
Hochrenaissance losgelöst von ihrem urbanistischen Zu-
sammenhang zu betrachten. Gerade Hauptwerke wie
Bramantes Justizpalast, Raffaels Pal. J. da Brescia, Peruzzis
Pal. Massimo oder Sangallos Banco di S.Spirito lassen sich
nur aus der städtebaulichen Situation begreifen und er-
halten ihren Sinn erst durch ihre urbanistische Umgebung.
Die Wurzeln der römischen Urbanistik der Hochrenais-
sance liegen einerseits im Spätmittelalter und in der Früh-
renaissance der Toskana und andererseits in den besonderen
Gegebenheiten des mittelalterlichen Rom. Vom toskani-
schen Spätmittelalter übernimmt sie die Gesetzgebung, die
Vorliebe für breite regelmäßige Straßen mit einheitlichen
Fluchten und für weite, prächtig umbaute Plätze; vom
Quattrocento die Tendenz zu Symmetrie, Axialität und
Bildhaftigkeit. Das unregelmäßige Stadtbild des mittelalter-
lichen Rom war gerade für die Visualisierungstendenzen
der Hochrenaissance ein ungleich günstigerer Boden als
etwa ein antikes Schachbrettsystem wie in Turin. Gerade
einige der besten Leistungen wie die Piazza del Popolo, der
Banco di S. Spirito oder der Pal. Massimo wurden durch die
Gegebenheiten des mittelalterlichen Stadtbildes inspiriert.
Von der Antike erbte die Hochrenaissance zahlreiche Ein-
zelformen wie das rustizierte Bottegengeschoß oder die
Triumphbogenfront, doch nicht die urbanistischen Ge-
staltungsprinzipien. Das wechselseitige Kommunizieren
der einzelnen städtischen Schwerpunkte durch große
Blickachsen, die primäre Ausrichtung der Bauten auf die
Straße und ihre Einfügung in das Straßenbild, die Schaf-
59 Vgl. M. Zocca, Origine ed evoluzione degli schemi urbanistici, in:
Palladio 2 (1953),21-34;S.Giedion, Raum, Zeit und Architektur,
Ravensburg 1965, 73 ff.

fung von Plätzen vor den bedeutenderen Fassaden, eines
Freiraumes um die größeren Monumente - gerade diese
charakteristischen Züge wird man weniger aus der römi-
schen Kaiserzeit als aus dem Quattrocento ableiten können.
In der Urbanistik äußert sich das Raumgefühl einer
Epoche, und dieses hatte sich, wie Panofsky gezeigt hat,
seit dem Mittelalter grundlegend geändert60. Seitdem die
Zentralperspektive Macht über das menschliche Auge ge-
wann, war Raum nicht mehr die Addition vieler Einzel-
räume, war eine Stadt nicht mehr die Addition in sich groß-
artiger Einzelzentren wie im kaiserzeitlichen Rom oder
quadratischer Einzelzellen eines Schachbrettschemas wie in
den römischen Kolonialstädten. Wie ein zentralperspekti-
visch konstruierter Bildraum so hatte auch die Idealstadt
der Renaissance ein Zentrum, in dem sich alle ihre Achsen
trafen; und wie das zentralperspektivisch angelegte Bild
neben dem Fluchtpunkt einen festen Standort für den Be-
trachter voraussetzt, so rechnet auch die Urbanistik der
Renaissance immer mehr mit der Konfrontation von Be-
trachter und Prospekt. Wie in der Zentralperspektive sind
Betrachter und Prospekt nicht als isolierte oder vonein-
ander unabhängige Punkte aufgefaßt, sondern als Ausschnitt
aus einem übergreifenden Raumsystem. Diese Entwicklung
wird seit der Cancelleria mehr und mehr sichtbar und er-
reicht in Projekten wie der Piazza del Popolo oder der
Piazza di Banco S. Spirito einen ersten Höhepunkt. Auch
Michelangelos Kapitol geht in urbanistischer Hinsicht
nicht grundsätzlich über die Hochrenaissance hinaus. Und
der Regulierungsplan Sixtus’V. ist letztlich nichts anderes
als die Monumentalisierung und Erweiterung jenes auf dem
Radialsystem der Piazza del Popolo beruhenden Straßen-
dreiecks zwischen Piazza di Ponte, Piazza Banco S. Spirito
und dem Platz vor S. Giovanni dei Fiorentini (Piazza dell’
Agnello). Erst die Plätze des Hochbarock mit ihren
geschlossenen Binnenräumen und ihren grandiosen Fassa-
denprospekten bedeuteten dann einen weiteren Schritt in
der Geschichte der römischen Urbanistik. Und wie in der
Renaissance so war es auch im Barock die komplexe Ver-
bindung von Baulust, Ruhmsucht und Nepotismus, von
Religiosität, Humanismus und Allgemeinverantwofbijch-
keit, die einige wenige Päpste zu den entscheidenden Er-
neuerungsmaßnahmen veranlaßte.
60 Panofsky 1927.

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