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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0040
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III. DER STIL

Erst in der Renaissance ist der Palastbau zu einem zen-
tralen Thema der europäischen Architektur geworden1.
Filippo Brunelleschi, der Begründer der Renaissancearchi-
tektur, hat zwar keinen Privatpalast hinterlassen2. Doch
seine Bauten haben die weitere Entwicklung maßgeblich
bestimmt. Schon sein erster selbständiger Auftrag, der Os-
pedale deglilnnocenti (1419ff), zeichnet sich durch zwei ent-
scheidende Neuerungen aus: den weitgehend symmetri-
schen, von einer visuellen Tiefenachse bestimmten Grund-
riß und die von der antiken Säulenordnung bestimmte
Platzfassade. Symmetrie und Axialität, zwei charakteristi-
sche Eigenschaften der kaiserzeitlichen Architektur, waren
im mittelalterlichen Klosterbau unmittelbarer tradiert wor-
den als im mittelalterlichen Palastbau; und als Hospital ist
der Ospedale degli Innocenti von der monastischen Tradi-
tion herzuleiten. Doch indem Brunelleschi dort Symme-
trie und Axialität gegenüber früheren Anlagen wesentlich
verstärkte, verlieh er ihnen eine über den spezifischen Bau-
typus hinaus reichende Bedeutung. Und indem er an der
Außenfront die Axialsymmetrie mit dem Prinzip der Säu-
lenordnung verband, unternahm er den ersten Versuch,
die mittelalterEche Portikusfassade dem antiken Typus der
Forumbasilika anzunähern3.
Rückkehr zum Prinzip der antiken Ordnung hieß aber
Rückkehr zum tektonischen und anthropomorphen Cha-
rakter der Ordnung: Wenn Brunelleschi die meisten seiner
Säulen und Pilaster wie etwa 1:10 proportioniert und
nicht nur mit Basis und Kapitell, sondern auch mit einem
dreiteiligen Gebälk ausstattet, so war dafür das Studium
Vitruvs und der antiken Monumente Voraussetzung. Wie
Vitruv die Verhältnisse der Ordnungen von der menschli-
chen Gestalt und das Gebälk der Ordnungen vom funktio-
nellen Gebälk des Holztempels ableitet, so ist in Brunel-
leschis Bauten die Säule wieder unmittelbar auf den Men-

schen bezogen und, zumindest visuell, als tragendes GEed
aufgefaßt4.
Daß die Ordnung für Brunelleschi mehr bedeutete als
nur der Wechsel vom Idiom der Spätgotik in das antiki-
schere des beginnenden Humanismus5, beweist auch sein
zweiter Beitrag zum Profanbau: die Fassade des Pal. di Par-
te Guelfa. Die Ordnung ist dort nicht nur Projektion der
Mauer auf die Wand, nicht nur dekorativer Rahmen für
die beiden Fensterreihen des Obergeschosses. In ihrer Mo-
numentalität und wohl auch in ihrer Antikennähe wäre sie
Ausdruck des Machtanspruches jener Partei geworden,
die im Inneren des Piano Nobile ihre Versammlungen ab-
halten wollte. Dieser politische Anspruch der Kolossal-
ordnung des Pal. di Parte Guelfa wird durch Nachfolge-
bauten wie Bramantes Pal. dei Tribunali oder Michelange-
los Senatorenpalast nur bestätigt. Ähnlich, wenn auch in
kleinerem Maßstab, wird die anthropomorphe, festEch-
antikische Ordnung in der Alten Sakristei, in S. Lorenzo,
der Pazzi-KapeUe oder S. Maria degli AngeE zum Aus-
drucksträger der Diesseitsbezogenheit ihrer Stifter.
Leider sind wir über Brunelleschis Modell für den Pal.
Medici nur ungenügend unterrichtet6. Nach den Quellen
des 16.Jahrhunderts sollte er gegenüber der Fassade von
S. Lorenzo Eegen. Damit hätte er nicht nur an einem statt-
Echen und regelmäßigen Platz partizipiert, sondern wäre
auch in formale wie bedeutungshafte Beziehung zur Fassa-
de getreten. Der Platz wäre unverkennbar zu einer Piazza
Medicea geworden - ein Gedanke, den erst Leonardo wie-
der aufgreifen sollte7. Inwieweit Michelozzos erfolgrei-
cheres Alternativprojekt Ideen von Brunelleschis Modell
aufgriff, wissen wir nicht. Im axialsymmetrischen Grund-
riß und im Aufriß des Hofes ist BruneUeschis Einfluß un-
verkennbar. Doch die Fassade, deren Beziehung zum Pal.
Vecchio für den „pater patriae“ mehr als nur formale Be-

1 Zur Architektur der Hochrenaissance s. Paatz 1953; Lowry 1957/
58; Bonelli 1960; Lowry 1962; Lotz 1963; L. Benevolo, Storia
dell’architettura del Rinascimento, Bari 1968, vol. I; E. Hubala,
Renaissance und Barock, Frankfurt 1968; P. Murray, Architettura
del Rinascimento, Venedig 1971; zum Begriff Hochrenaissance s.
vor allem Philippi 1912; H. Sedlmayr, Zur Revision der Renais-
sance, in: Epochen und Werke, München 1960, 210ff.
2 Zu Brunelleschi s. neuerdings: G. C. Argan, Brunelleschi, Mailand
1955; P. Sanpaolesi, Brunelleschi, Mailand 1962; E. Luporini,
Brunelleschi, Forma e Ragione, Mailand 1964; H. Saalman, Vor-
wort und Kommentar zu A. Manetti, The Life of Brunelleschi,
University Park/London 1970.
3 Zur Geschichte des Platzes in der Renaissance s. Lotz 1968.

4 Vitruvs Deutung der Ordnung als eines zugleich tektonisch-
funktionellen und anthropomorphen Baugliedes kommt in seiner
Beschreibung der dorischen Säule Zum Ausdruck:,,... uti (colum-
nae) et ad onus ferendum essent idoneae et in aspectu probatam
haberent venustatem, dimensi sunt virilis pedis vestigium et id
retulerunt in altitudinem.“ (IV, 1, 20); seine Ableitung des
Tempels vom Holzbau s. IV, 2; IV, 8.
5 Über die Beziehung seines Stils zum Humanismus s. E. Gombrich,
From the revival of the letters to the reform of the arts: Niccolö
Niccoli and Filippo Brunelleschi, in: Essays in the History of Art
presented to Rudolf Wittkower, London 1967, II, 71 ff.
6 C. von Fabriczy, Filippo Brunelleschi, Stuttgart 1892,300f.
7 Pedretti 1962,112ff.

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