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deutung gehabt haben mag, gehorcht weder dem Prinzip
der Axialität noch jenem der Ordnung. Nur das antiki-
sche Kranzgesims gibt eindeutig zu erkennen, daß wir
einen Bau der Frührenaissance vor uns haben. Ein ähnli-
ches Schwanken zwischen der Formenwelt des Spätmittel-
alters und jener des beginnenden Humanismus ist in ande-
ren Werken Michelozzos wie der Fassade von S. Agostino
und dem Kommunalpalast in Montepulciano, dem Umbau
der SS. Annunziata oder der Medicivillen in Cafaggiolo
und Careggi spürbar8. Doch mit dem Pal. Medici wird der
Wohnpalast erstmals zu einem gefährlichen Konkurrenten
des Sakralbaus, zu einer nahezu gleichrangigen Aufgabe
der Architektur, zumindest was Fassade und Hof angeht -
eine Entwicklung, die in der Cancelleria einen ersten Höhe-
punkt erreicht, wo die alte Titelkirche hinter der profanen
Palastfassade verschwindet.
Nicht nur Brunelleschi, sondern auch Michelozzo war
Voraussetzung für den führenden Architekten des dritten
Jahrhundertviertels: L.B.Alberti9. Michelozzo hatte von
Donatello den Umgang mit glanzvollem antikem Detail
gelernt, weit überdas beschränkte Repertoire Brunelleschis
hinaus. Und Michelozzo hatte, vielleicht auf Betreiben
seiner humanistischen Auftraggeber, als erster nachantiker
Architekt eine unmittelbare Nachahmung antiker Bauty-
pen versucht, indem er dem Langhaus der SS. Annunziata
ein Atrium (mit Vestibulum?) und einen pantheonartigen
Rundchor anfügte10. Alberti griff diese Idee in seinem Um-
bau von S. Francesco in Rimini sofort auf. Doch Alberti
begnügte sich nicht mit der Addition heterogener Elemen-
te: Er verband den Typus der für ihn wohl antikischsten
Kirchenfassade, der Fassade von S. Miniato, mit dem
Triumphmotiv des Augustusbogens in Rimini; und er ver-
band den pantheonartigen Rundchor mit der fernenwirk-
samen Außenkuppel des Florentiner Doms. Damit leitete
er die grandiose Reihe von Synthesen antiker und nach-
antiker Bautypen ein, die in der Fassade des Pal. Rucellai
zu einer direkten Verbindung des spätmittelalterlichen
8 Zu Michelozzo s. neuerdings H. Saalman, The Palazzo Comunale-
in Montepulciano, in: ZKg 28 (1965), Iff.
9 Zu Alberti s. neuerdings: B. Zevi und E. Battisti, L.B. Alberti,
in: Enciclopedia Universale dell’Arte 1 (1958), 191 ff.; Wittkower
1962; M. Gosebruch, Varietä bei L.B.Alberti und der wissen-
schaftliche Renaissancebegriff, in: ZKg 20 (1957), 229-238;
R. Krautheimer, Alberti and Vitruvius, in: Acts of the Twentieth
Congress of the History of Art 2 (1961), 42ff.; H. Klotz, L.B.
Albertis „De re aedificatoria“ in Theorie und Praxis, in: ZKg
32 (1969), 93-103; J. Gadol, L.B. Alberti man of the early Renais-
sance, Chicago und London 1969; H. Mühlmann, Über den
humanistischen Sinn einiger Kerngedanken der Kunsttheorie seit
Alberti, in: ZKg 33 (1970), 127ff.
10 Paatz, I (1955), 62ff. m. Bibliogr.

Fassadentypus des Pal. Medici mit dem Fassadentypus der
antiken Theater (Kolosseum) führen sollte, dem einzigen
antiken Aufrißschema, das sich auf eine mehrgeschossige
Fläche projizieren ließ. Dabei lehren die Aufträge des Gio-
vanni Rucellai, wie streng man in Dimension wie Material
noch zwischen Sakral- und Profanbau unterschied. Wäre
Rucellai nur auf individuellen Ruhm und Vorteil bedacht
gewesen, so hätte er, wie Raffaele Riario beim Bau seiner
Cancelleria, den Palast der Kirche und nicht die Kirche
dem Palast übergeordnet, hätte darauf Wert gelegt, daß
die Fassade seines Palastes mehr von jener triumphalen
Festlichkeit erhalten hätte, die Alberti mit dem Tempio
Malatestiano zu evozieren begann.
Hatte Brunelleschi in den meisten Bauten einen funktio-
nell bewährten Typus des Trecento wie Hospital, Sakri-
stei, Kapitelhaus, Grabkapelle oder Basilika mit Chor und
Kapellenkranz in die Sprache der antiken Ordnung über-
setzt und axialsymmetrischer ausgerichtet, so wurden
Albertis antike Prototypen nicht immer den funktionellen
Erfordernissen der Bauaufgabe gerecht. So folgt er in der
Rotunde von S. Francesco dem von Brunelleschi und
seinen Anhängern mit Recht als unfunktionell kritisierten
Rundchor der SS. Annunziata; und so verbindet er in S.
Sebastiano die Fassade und die einst auf das Untergeschoß
geöffnete Treppe des „Atrium“ von Spalato mit einem by-
zantinisierenden Narthex und einem antiken Zentralbau-
ten wie dem „Oratorium von S. Tiburzio“ nachgebildeten
Sacrarium, das einer auf Chor und Kapellen angewiesenen
Klosterkirche keineswegs genügte und ebenfalls die Kri-
tik der Zeitgenossen herausforderte11.
Erste Anzeichen jenes Dualismus zwischen der an einer
vergangenen Epoche orientierten Idealform und den zeit-
gemäßen Funktionen machen sich bemerkbar, der für alle
Klassizismen bezeichnend ist und in der Planungsgeschich-
te von St. Peter seinen deutlichsten Niederschlag finden
sollte. Dennoch kann der synthetische Charakter von Al-
bertis Architekturen, kann sein in Proportion wie Detail
freier Gebrauch des antiken Vokabulars veranschaulichen,
wieweit er von jenem akademischen Klassizismus entfernt
war, den ihm Schlosser angelastet hat12.
Alberti muß im jahrzehntelangen Umgang mit den römi-
schen Architekturen erfahren haben, wie weit Brunelleschi
noch von deren Monumentalität und Weite, von deren
Glanz und Erfindungsreichtum entfernt war. Wenn er also
11 Zum Oratorium S.Tiburzio s. Armellini-Cecchelii, 1283, 1337;
den Hinweis auf die Treppe des Atriums in Spalato verdanke ich
C. Wolsdorf; s.a. C. Ricci, L.B. Alberti, Turin 1917, 26.
12 J. von Schlosser, Ein Künstlerproblem der Renaissance: L.B.
Alberti, Wien/Leipzig 1929.

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