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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0042
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den Flächen- und Gliederbau durch stereometrische Wand-
architekturen ersetzte, wenn er die Proportionen in die
Breite dehnte und alles unternahm, um den Eindruck von
Größe zu suggerieren, wenn er zu Brunelleschis korinthi-
scher Ordnung die dorisierende und die komposite hinzu-
fügte und mit Zierfriesen und geometrischer Inkrustation
den dekorativen Reichtum der Antike nachzuahmen ver-
suchte oder wenn er die schlichten Rhythmen Brunelleschis
komplizierte, so hatte er dabei stets die antiken Vorbilder
im Auge.
Daß Alberti fast ausschließlich auf die machtvollsten
Repräsentanten der kaiserzeitlichen Herrscherarchitektur
wie Theater, Thermensäle, Paläste und Triumphbögen
zurückgriff und weniger auf frühchristliche Prototypen,
erklärt sich kaum aus einer nur ästhetischen Vorliebe. Wie
seine kaiserzeitlichen Vorbilder so sollten auch seine eige-
nen Architekturen irdische Macht repräsentieren und, wie
im Falle des Tempio Malatestiano oder der Rucellai-Bauten,
den irdischen Menschen verherrlichen. Auch in seinem
Architekturtraktat geht es ihm weniger um Christentum
und Demokratie als um den Ruhm des Fürsten und seines
Architekten. So ist es kein Zufall, daß Albertis erste Bauten
und sein Traktat etwa gleichzeitig mit Donatellos „Gatta-
melata“ und dem Triumphbogen Alfonsos I. in Neapel ent-
standen: Der humanistische Traum einer Erneuerung
Roms verbündet sich mit einer neuen Generation von Auf-
traggebern, die wie Sigismondo Malatesta, Alfonso von
Aragon, Nikolaus V., Pius II., die Medici, Gonzaga, Monte-
feltre oder Rucellai ihrer weltlichen Macht sichtbaren Aus-
druck verleihen will. Erst dieses Zusammentreffen zweier
heterogener und zunächst voneinander unabhängiger Ent-
wicklungslinien verleiht der Renaissance ihren existentiellen
Hintergrund und ihren Bauten die vitale Überzeugungs-
kraft. Und ob Alberti den Tempio Malatestiano als Mauso-
leum Sigismondo Malatestas, ob Bramante den Chor von
S. Maria delle Grazie als Mausoleum Lodovico il Moros
oder ob Bramante St. Peter als Mausoleum des Apostel-
fürsten Petrus und seines imperialen Nachfolgers konzi-
piert : stets und in zunehmendem Maße ist Architektur auch
Herrscherarchitektur, auch Verherrlichung des Auftrag-
gebers und seines irdischen Ruhmes wie in der römischen
Kaiserzeit. So ist es nur konsequent, daß Rom mit dem
politischen auch das künstlerische Zentrum der italieni-
schen Renaissance wurde. Und daß der Kreis machtbe-
wußter und ruhmsüchtiger Bauherren nicht auf die kleine
Gruppe regierender Fürsten oder steinreicher Kaufleute
beschränkt blieb, lehrt die Entwicklung des Palastbaus.
Nicht einmal in der römischen Kaiserzeit hatten die wohl-
habenden Bürger ähnlichen Wert auf die Sichtbarmachung
und Verewigung ihres persönlichen Ansehens gelegt, wie

sie sich in den Palästen und Grabmälern der Renaissance
ausdrückt. Diese Entwicklung, die mit Brunelleschis
Mediciprojekten beginnt, erreicht in Alberti einen ersten
Höhepunkt.
Alberti verfuhr jedoch nicht nur „römischer“, sondern
auch systematischer als Brunelleschi: In seinen Fassaden
erhält das Mitteljoch bereits jene Akzentuierung, die dann
für die subordinierenden Systeme des 16. und 17. Jahrhun-
derts so bedeutsam werden sollte; in der Isola Rucellai
schließt er Palast, Loggia, Platz und benachbarten Konvent
zu einem System höherer Ordnung zusammen13; aus der
Vorhalle von S. Andrea leitet der Seiteneingang in die be-
nachbarte Portikusstraße über. Albertis Proportionssyste-
me vereinigen die geometrischen Verfahren des Mittel-
alters mit dem vitruvianischen Modulus-Prinzip und der
pythagoräischen Lehre musikalischer Zahlenverhältnisse.
Auf ähnlich systematische Weise wird in dem komplexen
Konstruktionssystem von S. Andrea das Gewicht der ge-
geplanten Kuppel und des monolithischen Tonnengewöl-
bes durch ein vom Pantheon inspiriertes System von Ent-
lastungsbögen nach unten geleitet und durch gotisierende
Strebebögen seitlich abgestützt; mit dem Belichtungs-
system von S. Andrea wird das Licht durch indirekte und
direkte Quellen auf bestimmte Raumzonen konzentriert
und in fast psychologischer Weise gesteuert14. Und nicht
einmal in der Kaiserzeit findet sich das in S.Andrea ange-
wandte Korrespondenzprinzip: die Wandgliederung spie-
gelt das Konstruktionssystem, der Außenbau die Struktur
des Innenbaus.
All dies verrät einen ähnlichen Hang zum logisch durch-
dachten System, wie er sich in Brunelleschis Entdeckung
und in Albertis Fixierung der Zentralperspektive als eines
übergreifenden Raumsystems äußerte. Grundlage für diese
Systematisierungstendenz war die „ragione“, jener Sinn für
das Rationale, Stimmige, Richtige, der in Albertis Brief an
Matteo dei Pasti von 1454 eine so bedeutsame Rolle spielt15.
Der Architekt orientiert sich an den antiken Vorbildern
nicht nur aus ästhetischer Neigung oder wegen des Macht-
und Ruhmgedankens, sondern auch weil für ihn die Natur-
gesetze in der Antike ihren reinsten Niederschlag gefunden
haben - sei es in der Logik des Tragens und Lastens, sei es in
den anthropomorphen Ordnungen, sei es in den musikali-
13 L.H. Heydenreich, Die Cappella Rucellai von San Pancrazio in
Florenz, in: De artibus opuscula. XL essays in honor of Erwin
Panofsky, New York 1961, 219-229; M. Dezzi Bardeschi, II
complesso monumentale di S. Pancrazio a Firenze ed il suo restau-
ro, in: QuadlstStorArchit 73-78 (1966), 15ff.
14 E.Hubala, L.B. Albertis Langhaus von Sant’Andrea in Mantua,
in: Festschrift Kurt Badt, Berlin 1961, 83ff.
15 C.Grayson, An autograph letter from Leon Battista Alberti to
Matteo de’Pasti November 18, 1454, New York 1957.

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