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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0043
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sehen Proportionen oder zweckmäßigen Einzelformen wie
halbkugeliger Kuppel und Arkadenfenster. Und da „firmi-
tas“, „utilitas“ und „venustas“, die drei Grundpfeiler von
Albertis Architekturlehre, durch die Erkenntnis der
Naturgesetze, also durch die „ragione“ und nicht durch
Erfahrung oder Geschmack, gewonnen werden, kann
Architektur unabhängig von ihrer materiellen Realisierung
existieren, ist ihre Konzeption und nicht ihre Ausführung
der entscheidende Vorgang. Kein Zweifel, daß Albertis
Rationalisierung und Systematisierung der Architektur
auch in einer gewissen Abstraktheit und Starre seiner ausge-
führten Bauten ihren Niederschlag gefunden haben und
daß diese sich nicht zuletzt auch darin von den atmenderen
Gebilden Brunelleschis oder Michelozzos unterscheiden.
Wenn Rossellino zahlreiche Neuerungen des Pal.Rucellai
in seinem wenig späteren Pal. Piccolomini zu Pienza wieder
in Richtung auf den Pal. Medici zurückbildet, mag er da-
mit bereits eine bewußte Kritik an Albertis starrer Syste-
matik geübt haben.
Ohne Alberti sind auch die drei bedeutendsten Paläste
der Folgezeit undenkbar: der Pal. Venezia in Rom, der Pal.
Ducale in Urbino und die Cancelleria. Albertis Anregung
hatte wohl den Ausschlag gegeben, als man im Elof des Pal.
Venezia, im Fassadenportikus der benachbarten Kirche
S. Marco oder in der Benediktionsloggia Pauls II. unmittel-
bar auf das Kolosseumsmotiv zurückgriff und es wiederum
mit zeitgenössischen Bautypen verband. Die zukunfts-
weisende Bedeutung des Pal. Ducale zu Urbino (1465 ff.)
liegt einmal in seiner „fernsichtigen“ Talfassade, die wohl
nicht zuletzt aus visuellen Gründen gegenüber dem
Innenorganismus verschoben wurde, dann in seinem gegen-
über früheren Palästen wesentlich vergrößerten Arkaden-
hof, und schließlich in seinerlnnendisposition (T. 190a, b).
Und hier sind es wiederum nicht allein die einzelnen Raum-
typen wie die bequeme Treppe, das Badezimmer, die Stal-
lungen, das Studiolo oder der Musentempel, sondern ihre
axiale Anordnung. Nirgends vorher läßt sich eine Treppe
nachweisen, deren Unterlauf axial auf die Eingangsloggia
bezogen ist; nirgends vorher sind die einzelnen Raumzellen
mit ähnlicher Konsequenz durch die übergreifende Blick'
achse der „Enfilade“ zusammengebunden. Diese neue Herr-
schaft der Achse über die Grundrißdisposition wird aber
für die weitere Entwicklung des Profanbaus entscheidend
bleiben. Freilich war diese Stufe ähnlich durch die Kloster-
villa der Badia in Fiesoie vorbereitet worden, wie einst
Brunelleschis Ospedale degli Innocenti den Pal. Medici vor-
bereitet hatte13.
16 H. Saalman, Rezension von P. Rotondi, The Ducal Palace of
Urbino, in: BurlMag 113 (1971), 46ff.

In der Cancelleria gehen der Pal. Rucellai und der Palast
zu Urbino eine glückliche Verbindung ein16a (T.161-163).
Ihre dreigeschossige Fassade mit der Verbindung von
Ordnung und Schnittsteinquaderung inspiriert sich am Pal.
Rucellai, der Hof und die Innendisposition am Pal. Ducale
zu Urbino. In dieser Synthese florentinischer wie urbinati-
scher, architektonisch-künstlerischer wie höfisch-zivilisato-
rischer Errungenschaften darf die Cancelleria als der fort-
schrittlichste Palast seiner Zeit nicht nur in Italien sondern
in ganz Europa gelten. Selbst für den römischen Palastbau
des 16. und 17. Jahrhunderts sollte ihre Disposition weit-
gehend vorbildlich bleiben.
Brunelleschi, Alberti und Laurana waren wohl auch die
entscheidenden Kräfte bei der künstlerischen Formation
des jungen Bramante17. Ihre Wirkung ist schon in seiner
Mailänder Frühzeit unverkennbar. Wo er, wie im Kreuz-
gang von S. Ambrogio, Säulen mit Arkaden verband, ver-
säumt er es nicht, ein vermittelndes Gebälkstück einzu-
schieben; und er folgte wohl dem Vorbild von S. Andrea in
Mantua, wenn er die Arkadenpfeiler im Prevedaristich oder
im Inneren von S. Maria presso S. Satiro als kleine Ordnung
mit Kapitell und dreiteiligem Gebälk ausbildete. Und in
S. Andrea begegnete er auch einem Sinn für räumliche
Weite, für das hierarchische Aufwachsen von der kleinen
zur monumentalen Form und für kunstvoll dosierte Licht-
führung wie in keinem der kristallinen, streng umgrenzten
und hell ausgeleuchteten Räume Brunelleschis. Bramante
suchte ein noch vielfältigeres Raumbild mit Haupt- und
Nebenzentren, mit verschiedenen Raumschichten, mit kon-
trastreicheren Lichteffekten. Dabei kam ihm nicht nur seine
malerische Schulung im Kreise Piero della Francescas und
Mantegnas zugute, sondern auch seine intensive Ausein-
andersetzung mit der spätantiken und byzantinischen Ar-
chitektur, wie er sie zunächst vor allem in den Marken und
im Umkreis Mailands kennen lernen konnte18. Dort fand er
für sein weiteres Schaffen entscheidende Typen wie das
Kreuzkuppelsystem und die in Säulenstellungen geöffneten
Umgänge oder das virtuose Komponieren mit stereome-
trischen Hohlformen wie Kuppeln, Exedren oder Nischen.
Seine humanistische Schulung war gefestigt gering, daß
er von weniger antikischen Phasen der Architekturge-
schichte wie der byzantinischen Typen und Motive über-
nehmen und in das tektonische Denken Brunelleschis und
Albertis zu transponieren vermochte. Ganz besonderes
16a zur Zuschreibungsfrage s. unten S. 93, Anm. 2.
17 zu Bramantes Werdegang s. zuletzt: Wolff Metternich 1968;
Bruschi 1969.
18 Wolff Metternich, Der Kupferstich Bernardos de Prevedari aus
Mailand von 1481 ..., in: RömJbKg 11 (1967/68), 64ff.; Bruschi
1969, 143ff.

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