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sehen Quattrocento weiter führte24. So hatte schon Fran-
cesco di Giorgio in einigen Entwürfen den basilikalen
Querschnitt auf die antike Tholos übertragen. Dabei
äußert sich auch die Vorliebe der Renaissance für steilere
Verhältnisse und eine strengere Axialität, als sie in der
Antike üblich waren. Im unteren Mauerring des Tempietto
griff Bramante erstmals ganz konsequent auf jenes ebenso
raumhaltige wie ökonomische Nischenwerk der Kaiser-
thermen zurück, das Brunelleschi in S. Maria degli Angeli
wiederentdeckt hatte. Hand in Hand mit dem Nischenwerk
geht ein dichtes Flächenrelief von Pilastern im Unterge-
schoß und Lisenenplatten im Obergeschoß, das - ganz im
Sinne Francesco di Giorgios - die vertikale Axialität
betont.
In den paneelartigen Platten und dem abgekürzten
Architrav, die im Obergeschoß an die Stelle der Ordnung
treten, begegnen wir dann einer ähnlichen Neigung zur
Abstrahierung des antiken Vokabulars, wie sie sich im
Quattrocento vor allem bei Francesco di Giorgio (Kloster
S. Chiara, Osservanza) und Bramante (S. Maria pr. S. Satiro,
S. Maria delle Grazie) nachweisen läßt. Die Anregung dazu
mögen kaiserzeitliche Marmorinkrustationen wie jene des
Oratoriums S.Crucis oder von S. Costanza gegeben haben.
Diese Tendenz zur Abstrahierung wird sich mit Raffaels
letzten Werken bedeutend verstärken. Bekanntlich sollte
der Tempietto Zentrum eines runden konzentrischen Säu-
lenhofes sein, den wir lediglich im Grundriß kennen. Auch
diese Idee stammte nicht von Bramante, doch seine Doppel-
begabung für die Schaffung eines weiten umgebenden Raumes
einerseits und eines komplexen, von einem Standpunkt aus
optimal wirksamen Raum/T/A-j andererseits hätte hier wohl
einen neuen Höhepunkt erreicht.
Während der gleichen Jahre entstand möglicherweise
das sogenannte „Nymphäum“ in Genazzano, dem mit
großer Wahrscheinlichkeit ein Entwurf Bramantes zu-
grunde liegt25. Wie er im Tempietto die antike Tholos in
den Geist der Renaissance übersetzt hatte, so versuchte er
nun eine Synthese zwischen dem quattrocentesken Typus
einer befestigten „Portikusvilla mit Eckrisaliten“, wie ihn
das Belvedere Innozenz’ VIII. repräsentierte, und einem
kaiserzeitlichen Thermensaal. In den von Pilastern um-
klammerten Eckrisaliten, den mächtigen Halbsäulenpfei-
lern und den schweren Rustikafenstern der Talfront oder
in den kräftigen Pfeilern und Gurten der Loggia macht sich
ein neues, an der Antike geschultes Gefühl für plastisch
24 E. Rosenthal, The antecedents of Bramante’s Tempietto, in:
JSAH 23 (1964), 55-74; s. auch Shearman 1968, 409, Anm. 5;
Bruschi 1969, 986 ff.
25 Frommei 1969; Bruschi 1969, 1048ff.

geformte Wandmasse geltend. In den Apsiden, Exedren
und Nischen, den durch „Serliane“ verstellten Durchblik-
ken oder den klar voneinander abgesetzten kuppeiigen Ge-
wölben erprobt Bramante neue Mittel zur Weitung des
Raumes. Eindeutiger noch als im Tempietto lieferte er hier
den Beweis, wieviel näher er den antiken Vorbildern zu
kommen vermochte als seine quattrocentesken Vorläufer.
Doch auch hier bleibt über den Typus hinaus deutlich
genug, daß wir es mit einem Werk der italienischen Renais-
sance zu tun haben und nicht mit einem Werk der Antike,
wie zuweilen vermutet wurde. Das zeigen nicht nur die
überschlanken Verhältnisse in den Gliedern der Ordnungen
oder den Interkolumnien der Serliane; und das zeigen auch
nicht nur die sparsamen und spröden Profile der vier vom
kleinen Nischenpilaster bis zur monumentalen Halbsäule
stets toskanischen Ordnungen. Wichtiger noch ist einmal
die visuelle Bedeutung, die Längs- und Querachse im ge-
samten Bauorganismus gewonnen haben, welche, ganz im
Sinne von Albertis Auffassung der Zentralperspektive,
durch klare Zäsuren kommensurabel gemacht werden; und
zum andern jenes hierarchische Aufwachsen der Ordnun-
gen von der kleinen anthropomorphen zur kolossalen Form,
das dem Bau Monumentalität verleiht, ohne dabei den
menschlichen Maßstab preiszugeben.
Um 1501, also bald nach dem Kreuzgang von S. Maria
della Pace und dem Tempietto und kurz vor dem „Nym-
phaeum“, entwarf Bramante seine erste Palastfassade: die
Fassade des Pal. Caprini (T.32). Auch hier griff Bramante
nicht auf antike Prototypen zurück, sondern auf verschie-
dene Fassaden des Quattrocento26. Lediglich im Vokabular
und dessen Komposition profitierte er von seiner neuen
Antikenkenntnis. Die Architekten des Quattrocento hatten
nicht nur für den Sakralbau, sondern auch für den Palastbau
verschiedenste Lösungen vorgeschlagen, die den gegebe-
nen, von lokalen Traditionen geprägten Innenorganismus
mit einer dem neuen humanistischen Geist gemäßen Schau-
seite versahen. Allen gemeinsam waren nur die maximale
Symmetrie, die Gliederung durch horizontale Zwischen-
gesimse, Fensterreihen und ein mehr oder minder zentrales
Portal. Im übrigen reichten die Vorschläge vom' nackten
Kubus eines Pal. Venezia über den rustizierten Kubus eines
Pal. Pitti oder Pal. Strozzi bis hin zu den differenzierteren
Versuchen, die einzelnen Geschosse kontrastreich vonein-
ander abzusetzen und mit einer Ordnung auszuzeichnen.
Einen solchen Versuch hatte, wie wir sahen, bereits Bru-
nelleschi im Pal. di Parte Guelfa unternommen, und Bra-
26 Apollonj Ghetti 1936; Bruschi 1969, 957. Die vergleichbaren
antiken Fassadensysteme der Rathäuser in Termessos oder Milet
waren Bramante kaum bekannt.

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