Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
IV. FUNKTION UND TYPUS

Obwohl es nicht immer gelingt, die ästhetische und
literarische Bedeutung der einzelnen Glieder eines Palastes
von ihren Funktionen im täglichen Leben zu trennen,
scheint doch den meisten Palästen ein funktioneller Orga-
nismus gemeinsam. Die wichtigsten Quellen für die Kennt-
nis der einzelnen Funktionen sind die Entwürfe A.da San-
gallos d. J., Peruzzis und ihres Umkreises. Ergänzend treten
die Inventare einiger Paläste sowie Aufnahmen und Beschrei-
bungen des späteren 16. Jahrhunderts hinzu. Einen weite-
ren Überblick über die Organisation unterschiedlichster
Häuser und Paläste um die Mitte des Jahrhunderts vermit-
telt das Katasterbuch der Confraternita della SS. Annun-
ziata bei S. Maria sopra Minerva1. Schließlich lassen sich die
Äußerungen einiger Theoretiker, vor allem Vitruvs, Alber-
tis, Francesco di Giorgios, des stark von Vitruv beeinfluß-
ten Paolo Cortese und Vasaris, auf den römischen Palastbau
dieser Jahrzehnte beziehen.
Die vollständigste Aufzählung der einzelnen Räumlich-
keiten eines Palastes bieten die Inventare der Farnesina von
1525/26. Die Küche, die zwei Loggien, die Sala und die
Saletta im Erdgeschoß, die Sala Grande mit der Kredenz im
benachbarten Salotto, das Zimmer des Hausherrn mit dem
Kleiderschrank in der Anticamera und einer benachbarten
Dienerschaftskammer im Piano Nobile, schließlich die
Dienerschaftsräume in den beiden Mezzaninen, der Hof,
der Garten und der außerhalb gelegene Marstall repräsen-
tieren bereits die wesentlichen Elemente des römischen
Renaissancepalastes. Dabei steht die Eingangsloggia stell-
vertretend für Andito und Hof loggia, entspricht die Loggia
di Galatea der Gartenloggia zahlreicher Paläste.
Vasari erwähnt „cucina o cantina sotto terra“, „primo
ricetto“ (Andito), „cortile“, ein Sommerappartement mit
„sale con le stanze“ im Erdgeschoß, die „scale publiche“
und „segrete“, die „sala grande“ zwischen „diversi apparta-
menti, ehe rispondono sempre nella maggiore“, „anti-
camere“, „salotti“, „stanze minori“und „destri“ in willkür-
licher Reihenfolge2.
In Paolo Corteses Programm eines vollkommenen Kar-
dinalpalastes, das sich an dem Vorbild des Pal. Venezia, der
Cancelleria und einiger anderer Kardinalspaläste orientiert,
sind etwa 25 Räume verschiedener Funktion aufgeführt:
im Erdgeschoß nahe dem Eingang „vestibulum“ und
„atrium“, „conpluvium“ mit einer „transitoria ambula-
1 ASR, Arch. Confraternita SS. Annunziata, Catasto 1563.
2 Vas 1550, 49 ff.

tione“ (Hof mit Loggien), „cubiculum palafernariorum“
(Raum der Pferdeknechte), „munitio armorum“ (Waffen-
kammer), „hospitalia cubicula“ (Gastzimmer), „biblio-
theca“, „schola“ oder „auditorium“ (Lesesaal); im nörd-
lichen Trakt des Erdgeschosses „aestiva cubicula“ (Som-
merappartement), „musica triclinia“ (Musikzimmer?) und
Haupttreppe; im Obergeschoß nahe der Treppenmündung
„iuris dicendi locus“ (Raum zur Schlichtung der Streitfälle
unter den Bewohnern), „cubiculum magistri domus“
(Zimmer des Haushofmeisters), „cubiculum architriclinii“,
„cellae obsonariae“, „cella collina“, „cella dispensatoria“
(Speisekammer), „cella cenatoria“ (Speisesaal?); im Piano
Nobile nahe dem Treppenausgang „publica aula“ (Sala
Grande), „capella“, „cubiculum audientiae“(Audienzsaal),
„cella cenatoria“ (Speisesaal), „repositoria argenti“ (Kre-
denz?), „cella locubratoria“, „dormitorium“ (Schlafzim-
mer), „cella gemmarum“ oder „dactylotheca“ (Antiken-
sammlung); im Nordtrakt des Piano Nobile „cella segre-
tarii“ (Zimmer des Sekretärs), „cella scriptoris“ (Zimmer
des Schreibers), „ratiocinarum artificumque officina“
(Werkstätten der Künstler und Kunsthandwerker), „cubi-
cula capellanorum“ (Zimmer der Kaplane), „cubicula
scutiferorum“ (Zimmer der Waffenknechte), „cubicula
archiatri“ (Zimmer des Leibarztes); im dritten Geschoß
verbunden durch „transitoria deambulatione“ (Verbin-
dungsgänge) „cubicula reliquae familiae“ (Wohnräume
des übrigen Hausstandes); außerhalb des Palastes schließ-
lich „viridarium“ (Garten)3.
War Cortese auch bemüht, „in domo partienda sequi
quod maxime priscorum descriptione“ und konnte sich
etwa seine Beschreibung des runden Musikzimmers, der
Bibliothek oder der Künstlerwerkstätten kaum auf ausge-
führte Beispiele stützen, so sind doch die meisten Räume
nicht von Vitruv abzuleiten. Die Einteilung in drei um einen
Innenhof gelegene Geschosse, deren unteres dem Personal,
den Gästen und den Sommerappartements, deren mittleres
dem Appartement des Kardinals und den Repräsentations-
räumen und deren oberstes den Dienerschaftswohnungen
zugeordnet ist, entspricht in der Tat dem Typus des römi-
schen Renaissancepalastes und nicht dem des antiken
Hauses.
Im Kataster von 1568 gehören „andito“, „loggia“,
„cortile“, „cucina“, „stalla“, „cantine“, „scale“, „sala“,
3 Cortese 1510, fol. 49-54; Rodocanachi 1912, 21 ff.

53
 
Annotationen