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ordnete Peruzzi vier Läufe um einen voluminösen Mauer-
kern und näherte sich damit dem Schema der Lichthof-
treppe (T.76b,77a,b).
Die Abmessungen der Stufen halten sich ebenfalls in
festen Grenzen. Ihre Tiefe schwankt zwischen U/2 p
(0,34 m) und 2^2 p. (0,56 m); ihre Höhe zwischen 7 oncie
(0,13 m) und 10 oncie (0,186 m). In der Mehrzahl der
Paläste begnügte man sich wohl aus Gründen der Raumer-
sparnis mit Stufen von 3/4 p. (0,168 m) Höhe. Einige wie
der PaLCaffarelli und Sangallos Haus in Via Giulia besitzen
Stufen von 2/3 p. Höhe. Die 7 oncie der Pal. Giraud, Baldas-
sini und Farnese I (UA1002) blieben ein Luxus, den sich
nur die wenigsten leisteten (Pal. Farnese II, Sangallos Ent-
würfe UA984 für Pal. Sacchetti). Die steilste Treppe hatte
Peruzzis Pal. Massimo mit einer Stufenhöhe von 10 oncie.
Überhaupt scheint Peruzzi den Treppen niemals die gleiche
Bedeutung beigemessen zu haben wie Bramante und San-
gallo.
Dieser schuf um 1540 ff. in der Treppe des Pal. Farnese
einen neuen Stufentypus, der seit Vasari die größte Bewun-
derung hervorrief42 (T. 43b,48c). Hatte er im Entwurf
UA 1002 für die Treppe des Kardinalsprojektes waagrechte
Stufen von etwa 2 p. Tiefe und s/s p- Höhe geplant, so ver-
längerte er nun die Stufen auf etwa 24/2 p. (0,536 m) und gab
ihnen eine Höhe von etwa 2/3 p. (0,146 m). Die Neuerung
lag nicht allein in der Verlängerung der Stufen auf etwa
doppelte Fußlänge, sondern auch in der leichten Neigung
ihrer Oberfläche. Dabei fallen etwa 7 oncie auf die eigent-
liche Stufenhöhe und eine oncia auf die Steigung der Ober-
fläche. Anstoß zu dieser Neuerung gaben möglicherweise
die Rampentreppen, deren tiefe Stufen ebenfalls leicht
geneigt waren43. Die majestätische Gelassenheit, die sich
dem Besucher während des Aufsteigens mitteilt, hat Wölff-
lin mit Recht als Wesensmerkmal des römischen Lebens-
gefühls hervorgehoben44. Damit gelang es Sangallo am
Ende seiner Laufbahn, einen weiteren Schritt über Bra-
mantes Neuerungen hinauszugehen.
Sangallo selbst hat auf UA 1317 ein graphisches Schema
ausgearbeitet, das die unterschiedlichen Neigungswinkel
von Treppen besser veranschaulicht als abstrakte Zahlen
(T. 188d). Jede der insgesamt sechs Diagonalen repräsen-
tiert einen eigenen Neigungswinkel. Die weitaus bequemste
Variante, die antike Treppe zum Quirinal - „monte
cavallo“ steigt lediglich l2/3 p. je canna, d.h. also etwa
14%45; die weitaus steilste Variante - nach der Beischrift
42 Burckhardt ed. Holtzinger 1904, 215; Wölfflin 1908, 104, fig. 16;
Durm 1914, 217, Abb. S. 213.
43 vgl. die Abbildung bei Durm 1914, Abb. 161, Nr. IV.
44 Wölfflin 1908, loc.cit.
45 s. eine Aufnahme dieser Treppe in Peruzzis UA 564.

„vitruvio“ wohl eine Berechnung der Angaben in Vitruv
IX, 1,6ss.-steigt71/i7p. jecanna,d.h. also etwa 64%. Zwi-
schen diesen beiden Extremen sind auch die während der Re-
naissance gebräuchlichsten Neigungswinkel eingetragen,
wie „quincupla“, „quadrupla“, „tripla“ und „dupla“. Die
Treppen des Pal. Ducale zu Urbino oder des Pal. Giraud ent-
sprächen mit einer Steigung von etwa 24/a p. je canna oder
1/2 p- je Stufe (von 2 p.) dem von Sangallo „quadrupla“ ge-
nannten System; die meisten anderen Treppen, deren
Stufenhöhe zwischen 2/s p. und 3/t p. Stufenhöhe schwankt,
fallen in den Bereich von „tripla“. Sangallo mag dieses
Schema für seinen Vitruvkommentar oder einen Architek-
turtraktat vorgesehen haben, um auch im Bereich der
Treppen, in dem er der unbestrittene Meister war, feste
Regeln zu schaffen. Wenn Vitruv die weitaus unbequemste
Version zugeordnet wird, so entspricht dies nicht nur in
etwa den Angaben seines Traktates, sondern auch den tat-
sächlichen Maßen der meisten erhaltenen Treppen der
Kaiserzeit, die im allgemeinen wesentlich steiler geführt
sind als jene der Renaissance. Lediglich die Treppen der
kretensischen Königspaläste können sich an Raffinesse und
Bequemlichkeit mit Sangallos Treppe des Pal. Farnese
messen (vgl. etwa die Treppen in Phaistos).
Auch auf die Belichtung der Treppen verwendete San-
gallo größere Sorgfalt als die meisten seiner Zeitgenossen.
Während Raffael, Peruzzi oder Giulio Romano sich häufig
mit den spärlichen Beleuchtungsmöglichkeiten vom Hof
her begnügten, suchten Sangallo und sein Nachfolger
Mangone durch eigene Lichthöfe eine zusätzliche Licht-
quelle zu schaffen. Keine Treppe Sangallos ist so düster wie
jene des Pal. Massimo, und mit gewissem Recht kritisiert
Sangallo die Belichtung an den Entwürfen für Raffaels Haus
in Via Giulia: „questa schala sara schura“, „questa non ha
lume“ (T. 110a,b). Die Lichthöfe der Pal.Gaddi und Caf-
farelli folgten dem Vorbild des Pal. Baldassini, fielen jedoch
späteren Umbauten zum Opfer (T. 13c, 80c, 27c, d). Ähnlich
sind die Treppen in allen repräsentativeren Projekten San-
gallos gut belichtet, während sich Peruzzi in den Ent-
würfen UA352 für den Pal. Lambertini, UA596 für den
Palast des Erzbischofs von Amalfi oder UA368 für den Pal.
Massimo mit indirektem Licht begnügt46 (T. 96 a, 97b, 98 a,
184a).
Beschränkte man sich bei den Treppenläufen selbst gro-
ßer Kardinalspaläste auf ein einfaches Kämpfergesims
46 Der Cod.Barb. 4630 (fol. 12ss.) begnügt sich mit einer zweiläufi-
gen Treppe vom Cancelleriatypus, da er der indirekten Beleuch-
tung - „luce morto“ — des Pal. Farnese-Typus aus dem Wege
gehen will. Er übernimmt die Neigung der Stufen um 1 oncia
vom Pal. Farnese, warnt jedoch vor einer Stufentiefe von mehr als
2 p., da sie für Greise, Kinder und Gebrechliche beschwerlich sei.

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