Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0111
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
verzierten Baluster, die Blendfelder in den Piedestalen oder
der Eierstab der dorischen Kapitelle deuten auf eine an-
mutig-dekorative Gesinnung, wie wir sie trotz aller Mängel
der Ausführung auch im gleichzeitigen Tempietto (vor
1502) antreffen. Die gleiche Eigenart verrät jenes „braman-
te“ zugeschriebene Portal im Skizzenbuch Mellon, dessen
lichte Breite von etwa 10 p. sich mit den Verhältnissen des
Pal. Caprini vereinbaren ließe (T. 34f).

2. PAL. DEI TRIBUNALI
In der Fassade des Pal. Caprini hatte Bramante das
Schema der Cancelleriagruppe zu einem atmenden, tekto-
nisch überzeugenden Organismus entwickelt und das
Prinzip einfacher Reihung durchbrochen. In der Fassade
des Pal. dei Tribunali sollte sie ihr gewaltigeres Gegen-
stück erhalten (T. 145 ff.). Diese stellte mit einer Länge von
über 78 m, einer Höhe von etwa 36 m und in ihrer Lage an
einem neuen Platz höchste Ansprüche an den Architekten.
Auch hier knüpfte Bramante an die Cancelleria an, die
größte Platzfassade, die das römische Quattrocento hervor-
gebracht hatte. Wie dort faßte er den gesamten Baukörper
durch vier turmartige Eckrisalite zusammen, zeichnete je-
doch außerdem das Portaljoch durch einen breiteren Mittel-
risalit aus. Die Risalite sollten die Fassade in fünf Abschnitte
gliedern, die sich etwa wie 1:2:1:2:1 zueinander verhalten
und eine spannungsreiche Beziehung untereinander auf-
genommen hätten. Eine solche Spannung kommt zwischen
den schmalen Risaliten und dem langgestreckten Mittelteil
der Cancelleriafassade nicht zustande. Die drei steil auf-
ragenden Risalite, die vielleicht von Zinnen bekrönt werden
sollten, hätten noch stärker als das Obergeschoß des Pal.
Caprini die vertikalen Kräfte betont, im breitgestreckten
Format der Fassade jedoch ein mächtiges Gegengewicht
erhalten. Trotz aller Ungenauigkeiten kann die Baumedaille
noch einen Eindruck von der Komposition der gewaltigen
Mauermassen vermitteln, die Bramante hier vorschwebte
(T. 147 c).
Erhalten haben sich nur die roh behauenen Rustikabossen
des Sockelgeschosses, die ähnlich den Quadern des Pal.
Pitti ihren naturhaften Zustand zu bewahren scheinen. Über
dem Mittelportal, den Bottegen und den Fenstern des Erd-
geschosses hätten sie sich wohl ähnlich strahlenförmig ge-
ordnet wie im Pal. Caprini oder an Bramantes Portal zum
Cortile des Belvedere. Über diesem kraftvollen, von zahl-
reichen Wandöffnungen aufgelockerten Erdgeschoß sollte
sich eine kolossale Pilasterordnung von etwa 1,80 m Schaft-
breite erheben. Sie hätte sich auf die Eckrisalite beschränkt,

die beiden Obergeschosse mit ihren Fensterädikulen zu-
sammengefaßt und wohl eine Gesamthöhe von nahezu 18m
erreicht. Der Kontrast zwischen dem dienenden, mit dem
Boden verwachsenen Sockelgeschoß und einem fürstlich
aufstrebenden Obergeschoß wäre durch die Kolossalord-
nung noch wesentlich verstärkt, die mit der Cancelleria-
fassade eingeschlagene Differenzierung der Geschoßfolge
zu ihrer letzten Konsequenz geführt worden.
Die Fassade des Pal. dei Tribunali begründete eine be-
deutende Reihe monumentaler Palastfassaden. Raffael er-
innerte sich bei der Konzeption der Talfassade der Villa
Madama gewiß nicht nur des „Nymphaeums“ von Genaz-
zano, sondern auch des Pal. dei Tribunali5. Und im Entwurf
für den Senatorenpalast, der einen ähnlichen Anspruch er-
hob und ähnliche Funktionen zu erfüllen hatte, kam ihm
Michelangelo noch erheblich näher. Schließlich griff auch
der klassischste der Barockarchitekten, Bernini, Bramantes
Idee auf, als er den Pal. di Montecitorio, die Außenfronten
des Louvre (vgl. besonders die Südfassade) und den Pal.
Odescalchi plante.

3. PAL. PICHI
Es ist nun zu fragen, inwieweit die wenigen erhaltenen
oder überlieferten Fassaden anderer Meister aus der Zeit
um 1500-14 bereits Bramantes Wirkung verraten und in-
wieweit sie an der älteren Richtung festhalten. Der Cancel-
leria am nächsten steht die Fassade des Pal.Pichi, der vor
1510 begonnen wurde und als dessen Architekt Gnoli den
Baumeister Pietro Rosselli vorschlägt (T. 108,109d). Seine
Fassade, deren ursprünglicher Zustand durch einige Vedu-
ten überliefert ist, mutet wie eine phantasielose Kompi-
lation vorgegebener Motive an. Das Erdgeschoß mit seinen
arkadenförmigen Bottegen und seinen Mezzaninfenstern
geht unmittelbar auf die Bottegenfront der Cancelleria zu-
rück. Der Abstand zwischen zwei Bottegen ist auf einen
schmalen, von dorisierenden Doppelpilastern gegliederten
Pfeiler reduziert. Ihr auf einen Architrav beschränktes
Gebälk kröpft über den Bottegen leicht zurück und wird
von Konsolen unterstützt, die aus den Kapitellen der Pila-
ster hervorwachsen. An der Ecke haben Schnittsteinqua-
der den zweiten Pilaster verdrängt, obwohl Kapitell und
Architrav weitergeführt sind - eine Lösung, die bereits
Giulio Romanos bandagierte Ordnung vorbereitet6. Dar-
über setzt sich die Schnittsteinquaderung in Gestalt einer
5 Frommei 1969; Braschi 1969,1048-51.
6 Shearman, Giulio Romano (1967), 363.

96
 
Annotationen