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in der gleichen Ebene wie der äußere Halbpilaster. Basis-
und Piedestalzone sind ebenso abstrahiert wie am Halb-
pilaster, wenn auch das Sohlbankgesims hier sein oberes
Karnies behält. Dafür ist die Kapitellzone völlig aufgege-
ben. Lediglich eine mittlere Konsole übernimmt die stüt-
zende Funktion der Ordnung. Diese Differenzierung der
Risalite in vollgültige, halb abstrahierte und gänzlich ab-
strahierte Teile der Ordnung läßt sich logisch kaum auf-
lösen, verrät jedoch wiederum den virtuosen Geist Bra-
mantes, der im Mittelgeschoß des Cortile del Belvedere
oder in der Außengliederung des Chores von St. Peter mit
ähnlichen Mitteln arbeitete.
Auch die einzigen mit einiger Wahrscheinlichkeit der
ersten Bauphase zugehörigen Teile des Piano Nobile, das
Rahmenwerk der Eckrisalite, sind ganz vom Geiste Bra-
mantes bestimmt. Die jonische Pilasterordnung setzt ohne
echtes Piedestal auf dem Erdgeschoßgebälk auf und ist mit
etwa 1:10 wesentlich schlanker proportioniert als die
dorische Ordnung (ca. 1:8). Dennoch bleibt das Piano
Nobile deutlich niedriger als das Erdgeschoß. Die Kapitelle
rufen wiederum das Mittelgeschoß des Cortile del Belve-
dere in Erinnerung. Wenn sie hier auch an den überleiten-
den Halbpilastern aussetzen, so sollen damit wohl wieder-
um unschöne Ballungen vermieden werden. Schwerer ist
der Verzicht auf den Fries im Gebälk zu verstehen, wenn
er sich auch durch das Vorbild der Crypta Balbi motivieren
ließ. Die Eliminierung der Mittelkonsole unter dem Risalit-
gebälk erklärt sich wohl aus der Rücksicht auf die Giebel
der Fensterädikulen.
Diese sind bedeutend größer und plumper als im Erd-
geschoß, wie wir bei der Erörterung der Rekonstruktion
des ursprünglichen Projektes darzulegen versuchten. Im
ursprünglichen Projekt müssen sie sich ähnlich zu der
Risalitordnung verhalten haben wie im Erdgeschoß.
Ebenso wird man sich ein kräftigeres Gesims zwischen den
beiden Risaliten und eventuell sogar einen stärkeren Mittel-
akzent ergänzen dürfen. Jedenfalls gibt die ausgeführte
Lösung zu erkennen, daß der zweite Architekt der Fassade
wiederum bemüht war, die Vorherrschaft des Piano Nobile
zu sichern, so daß sich das zweite Projekt ähnlich zum ersten
verhält wie die Fassade des Pal. Giraud zu jener der Cancel-
leria. Immer wieder erweist sich, daß nur solche Fassaden-
systeme erfolgreich sein konnten, die der dominierenden
Funktion des Piano Nobile gerecht wurden. Das dritte
Geschoß des ursprünglichen Projektes kann sich nur in der
korinthischen oder kompositen Ordnung vom zweiten
unterschieden haben, so daß sich die Fassade mit einem
Seitenverhältnis von etwa 1:2 dem gestreckten Format des
Pal. dei Tribunali, der Farnesina oder des Pal. Farnese an-
genähert hätte.

Stehen auch alle Elemente des ersten Fassadenprojektes
in nächster Nähe zum römischen Bramante, so zögern wir
doch mit einer Zuschreibung an den Meister selbst. Grund
dafür ist weder das Gesamtsystem noch das Detail. Ist das
dorische Erdgeschoß des Cortile del Belvedere auch viel-
leicht kanonischer gestaltet, so gilt das kaum für den Tem-
pietto, dessen unteres Gesims ohne Konsolen bleibt, dessen
untere Nischen ebenfalls durch ein umlaufendes Gesims-
band verbunden werden und dessen oberes Gesims sogar
noch reduziertere Konsölchen besitzt als das Gesims zwi-
schen den Risaliten im Erdgeschoß des Pal. Fieschi. Grund
dafür ist allenfalls der Umstand, daß die fragmentarischen
Teile des ersten Fassadenprojektes nicht jene suggestive
Wirkung besitzen, die wir von Bramantes gesicherten
Werken kennen. Wenn Milizia, Burckhardt, Geymüller
oder Gnoli immer wieder auf die großen Schwächen der
Fassade hinwiesen, so spürten sie wohl vor allem den
Widerspruch zwischen den früheren und den späteren
Teilen9. Der Versuch, verschiedene Hände zu scheiden,
wurde jedoch niemals unternommen. Damit blieb auch die
Möglichkeit einer gerechteren Einschätzung des ersten Pro-
jektes ungenützt. Weder G. da Sangallo oder Peruzzi noch
einer der älteren Meister waren vor 1510 zu einer ähnlich
fortschrittlichen Architektur imstande; und Raffael stand
noch um 1512/13 bei der Konzipierung seines Marstalls
nicht zuletzt unter dem Eindruck dieser Fassade. So werden
wir wenn nicht an Bramante selbst, so doch mindestens an
einen bedeutenden Meister seines nächsten Umkreises
denken müssen.
Dieser bramanteske Meister der Zeit um 1503-10 wurde
noch zu Lebzeiten des Bauherrn, Kardinal Nicola Fieschi,
von jenem groben Architekten abgelöst, dem wir die Ädi-
kulen des Hauptportals und des Piano Nobile zuzuschreiben
versuchten. Er kommt in seinem Eklektizismus und der
Rückständigkeit seiner Formensprache dem Bild nahe, das
wir uns von Pietro Rosselli, dem mutmaßlichen Architekten
des Pal. Pichi, machten10. In der aufdringlichen Monumen-
talität, der wir weder am Pal. Pichi noch an der Casa Mocchi
wiederbegegnen, hätte er sich dann den Geist der braman-
tesken Hochrenaissance anzueignen versucht. Freilich
fällt es schwer, ähnlich undifferenzierte Formen einer be-
stimmten Hand zuzuschreiben. Der Architekt des von den
Boncompagni errichteten dritten Geschosses läßt sich
lediglich aufgrund der Aufnahme Letarouillys kaum mehr
ermitteln.
9 s. Bd. II, 182, Dok. 25 (1787); Burckhardt, Cicerone 1927,
288; Geymüller 1875, Text,92; Gnoli 1892,345f.; Giovannoni
1938,110.
10 s. Bd.II, 12,261 f.

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