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Frommel, Christoph Luitpold
Der Römische Palastbau der Hochrenaissance (Band 1): Text — Tübingen: Wasmuth, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.59325#0182
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die beiden Untergeschosse der Eingangswand beschränkt
und öffnen sich in Serliane auf Säulen. Die Erdgeschoß-
loggia spiegelt sich lediglich in der Exedra und im Kämpfer-
gesims des eingeschossigen Rücktraktes, da die drei Hof-
wände keine Ordnung besitzen und mit geringfügigen
Änderungen das System der Straßenfassade wiederholen.
In die Rückwand der halbrunden Exedra war früher ein
arkadenförmiges Fenster eingeschnitten, das den Blick auf
das Tiberufer und die Gärten des Pal.Salviati freigab
(T. 136 a). Diese schlichte Disposition wird nun von einer
Reihe eigenartiger Asymmetrien gestört. So öffnet sich
schon die Eingangshalle nur in ihrer linken Hälfte zum Hof;
die rechte dient als Vorraum der Treppen, die zu den unter-
irdischen Stallungen links und ins Piano Nobile rechts füh-
ren. Doch auch die linke Hälfte der Halle und ihre Serliana
korrespondieren nicht genau mit dem Hof. Während sich
die rechte Hälfte des Hofes genau auf die Serliana ausrich-
tet, ist die linke um etwa einen Meter breiter. Die Tiefen-
achse, die vom Portal über den Andito und die Serliana bis
zur Exedra und ihrem Fenster den Palast durchzieht, ist
nicht die Symmetrieachse des Hofes. Diese Asymmetrie
wird dadurch verstärkt, daß das breitere linke Joch des
Rücktraktes sich über drei Geschosse erstreckt, das Exedra-
joch und das rechte Seitenjoch hingegen mit der Balustrade
der kleinen Tiberterrasse abschließen.
So muß der Besuch des Palastes bereits im 16. Jahrhun-
dert einen eigenartigen Eindruck hinterlassen haben.
Schon von der Straße aus wurde der Blick des Eintretenden
durch die Exedra und ihre wirkungsvolle Wand in die Tiefe
gezogen. War er in der Loggia angelangt, so mußte die
Fortsetzung der Halle nach rechts seinen Gleichgewichts-
sinn verwirren. Betrachtete er aber den Hof, so taten dies die
Ausweitung des Hofes nach links und der einseitige Aufbau
der Rückwand. Diese Verteilung der Asymmetrien auf
beide Seiten mutet von der Loggia aus als bewußter
Kunstgriff an: Es scheint, als sollten beide einander die
Balance halten.
Man wird nun einwenden, diese bei einem Neubau der
Renaissance ungewöhnlichen Störungen seien gewiß durch
äußere Schwierigkeiten bedingt worden. Doch Sangallos
Entwürfe lehren, daß weder ein zwingender Grund für die
Asymmetrien bestand, noch Sangallo in einem seiner zahl-
reichen Alternativprojekte vergleichbare Unregelmäßig-
keiten vorgesehen hatte (T. 137-138 c). Auch die Absicht
mehr Wohnraum zu gewinnen, kann nicht den Ausschlag,
gegeben haben: Hof und Eingangshalle sind in der Aus-
führung größer als in irgendeinem der Projekte. Und ein
Jahrzehnt zuvor hatte Sangallo dem ungleich kleineren und
ungünstigeren Grundstück des Pal. Regis mit ähnlichen
Motiven noch einen regelmäßigen Hof abzutrotzen ge-

wußt. So ist es wohl berechtigt, die Asymmetrien als be-
wußte Gleichgewichtsstörungen zu interpretieren. Viel-
leicht hatte Peruzzis Pal. Massimo mit seinem „point de
vue“, seiner geknickten Tiefenachse und dem Dualismus
seines Hofes Sangallo zu dem abrupten Planwechsel ver-
anlaßt. Vielleicht wollte Sangallo auch der Krisenstimmung
der Zeit nach dem Sacco di Roma Ausdruck verleihen, in-
dem er sich ähnlicher Dissonanzen wie Giulio ein Jahrzehnt
zuvor bediente.
Wie sehr sich Sangallo um neue architektonische Aus-
druckswerte bemühte, läßt auch die Gestaltung der einzel-
nen Wände und ihrer Motive erkennen. Vergleicht man
etwa die Loggienwand mit jener des Pal. Regis, so hat sie
jede Körperlichkeit, jedes plastische Leben verloren. Die
dorische Ordnung des Erdgeschosses ist mit ihrem Ver-
hältnis von 1:8,82, mit ihren oktagonalen, fast mittelalter-
lich anmutenden Basisplatten, ihren dürren Basen und Kapi-
tellen und der Abkürzung ihres mageren Gebälkes kaum als
Werk des kraftvollen und regelstrengen Architekten der
Pal. Baldassini, Farnese und Regis wiederzuerkennen. Zu-
mal am unteren Rundstab der Basis und am Echinus des
Kapitells vermißt man den vitalen Schwung, die derbe
Plastizität von Sangallos früheren Werken. Der flache, weit
ausladende Echinus geht sogar noch über jenen der Porti-
kussäulen des Pal. Massimo hinaus29. Das auf ein dünnes
Gesims reduzierte Gebälk wird nicht mehr wie im Pal.
Regis tektonisch von der Archivolte des Mittelinterkolum-
niums unterschieden, sondern ohne Zäsur fortgesetzt - eine
Freiheit, die sich Giulio bereits in den kleinen Grotesken-
architekturen der Sala di Costantino erlaubt hatte und die
sich vielleicht auf den Canopus der Villa Adriana berief30.
Das Wandstück zwischen der Serliana und der linken Seiten-
wand des Hofes ist leicht eingezogen, um einen organischen
Anschluß des Eckpilasters zu ermöglichen. Damit nun die
Wand nicht über das abgekürzte Gebälk vorkragt, ist zwi-
schen beide eine bandförmige Verlängerung des Gesimses
der benachbarten Ädikula eingeschoben, wie auch das
Fensterbankgesims in vereinfachter Profilierung bis an den
Eckpilaster heranreicht. An der rechten Wand verwächst das
Ädikulagesims mit dem Pilasterkapitell und dem Gebälk zu
einem unorganischen Konglomerat.
Die Mezzaninfenster und die Gesimse sind dem Außen-
bau angeglichen. Die Serliana des Piano Nobile wiederholt
jene des Erdgeschosses. In Umkehrung des Kanons sind
ihre jonischen Säulen mit etwa 1:8,7 etwas gedrungener
proportioniert als jene des Erdgeschosses. Wie im Erd-
geschoß ist das Wandstück zwischen Serliana und linker
29 op.cit., T.31a.
30 Let., Vatican, II, T. 198.

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