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von jenen Bramantes zu unterscheiden. Lorenzetti erweist
sich somit als getreuer Schüler Raffaels, und es ist erstaun-
lich, mit welcher Konsequenz er diese Tendenzen bis in
Details der Fassade durchfuhrt.
Im Sockelgeschoß verzichtet er auf die Lünettenbögen
der Bottegen und gestaltet diese breiter als die alternieren-
den Portale. Die leicht querrechteckigen Mezzaninfenster
haben sich völlig selbständig gemacht. Der Abstand zwi-
schen den Portalarkaden und dem Piano Nobile hat sich auf
etwa fünf Rustikalagen erhöht, deren Ornament in keiner
Weise auf das Piano Nobile vorbereitet. Die vielfältigen
Beziehungen zwischen den beiden Geschossen, die die Fas-
sade des Pal. Caprini auszeichnen, sind unterbrochen. Das
Erdgeschoß wirkt als in sich ruhender Block, den ein ein-
facher horizontaler Rhythmus auflockert. Die lapidare
Monumentalität von Bramantes Rustika ist einer weicheren,
kleinteiligeren, regelmäßigeren Auffassung gewichen.
Statt der zwölf Lagen des Pal. Caprini gibt es nun siebzehn,
deren Vertikalfugen aufeinander abgestimmt sind. Die
Keilsteine haben ihre bedrohliche Schwere verloren und
beschreiben ein ähnliches Strahlenmuster wie am Portal des
Pal. Pandolfini. Insgesamt läßt das Sockelgeschoß jedoch
die zusammenfassende Kraft und die Eleganz Raffaels ver-
missen.
Die Doppelsäulen des Piano Nobile vereinigen eine Höhe
von etwa 8,3 Schaftbreiten, dorische Kapitelle und ein dori-
sches Gesims mit toskanischen Basen, einem toskanischen
Architrav und einem toskanischen Fries. Zu welcher
Ordnung man sie auch immer rechnen möchte: sie sind er-
heblich gedrungener proportioniert als ihre Vorgänger am
Pal. Caprini. Beide Halbsäulen ruhen nun auf einer einheit-
lichen Piedestalbank. Im Gebälk sind die dorischen Trigly-
phen weggefallen, in den Balkons die Baluster von sechs auf
vier reduziert. Die Ädikulen wurden ihrer Giebel beraubt.
All dies zeigt zweifellos eine Minderung jener vertikalen
Tendenzen, die wir am Pal. Caprini beobachten konnten.
Noch auffallender ist die übermäßige Verdichtung des
Fassadenreliefs. Die Säulenschäfte und Ädikulen scheinen
um je J-/a p. breiter als am Pal. Caprini, so daß sich die Ge-
simse der Sohlbänke und Piedestale in den engeren Jochen
tangieren. Nicht genug damit: Die Ädikulen stehen in
einer tieferen Wandebene, deren flaches Relief sie von den
Halbsäulen trennt. Über den Ädikulen wird in einem quer-
rechteckigen Blendfeld sogar eine zweite Wandschicht
sichtbar gemacht.
Diese Drängung der Glieder geht nicht nur über Bra-
mante, sondern auch über Raffael weit hinaus. Den einge-
klemmten Ädikulen ist ihre atmende Freiheit genommen.
Die Piedestalzone wirkt in der Schrägsicht nicht mehr als
eine Folge körperhafter Gebilde wie noch am Pal. Pandol-

fini, sondern als eine durchlaufende Sockelbank mit ge-
schlossenen und offenen Stirnseiten. In der beklemmenden
Enge des Piano Nobile kündigt sich wohl eine ähnliche
Tendenz zur Übertreibung, eine ähnliche Gleichgewichts-
störung an wie in den römischen Bauten Giulios, auch wenn
Lorenzetti sie nicht für einen eigenen Stil fruchtbar zu
machen verstand.
Die Schwächen der Fassade äußern sich nicht nur in der
kleinteiligen Auffassung der Rustika, sondern auch im
Detail des Piano Nobile. Unbefriedigend wirkt vor allem
der tote Kontur, die spannungslose Schwere der Halb-
säulen, die dem Piano Nobile eine gewisse Müdigkeit ver-
leihen. Eine ähnliche Schwunglosigkeit macht sich in den
schwächlichen Kapitellen, den trockenen Gesimsen der
Piedestalzone und im hölzern-leblosen Gebälk bemerkbar -
sie allein schon Grund genug, die traditionelle Zuschrei-
bung an Raffael in Frage zu stellen.

22. PAL. GADDI-NICCOLINI
Wie Lorenzetti so ist auch der junge Jacopo Sansovino in
Rom nur noch mit einer Fassade vertreten (T. 78, 81 a). Um
1518/20 konzipiert, setzt sie wohl die Kenntnis des Pal.
dell’Aquila voraus. Jedenfalls wäre es merkwürdig, wenn
zwei Architekten unabhängig voneinander zum gleichen
Zeitpunkt die gleiche Geschoßfolge eingeführt hätten. Das
Erdgeschoß mit seinen Bottegen und seinen Mezzanin-
fenstern war inzwischen fester Bestandteil des Palastbaus
geworden. Doch die beiden Obergeschosse wirken wie eine
Abstraktion des Pal. dell’Aquila und kommen darin dem
Aufriß der seitlichen Hofflügel dieses Palastes nah (T.7b).
Hier wie dort beherrschen die Ädikulen das Piano Nobile,
werden ihre Sohlbänke und alternierenden Giebel von
durchlaufenden Gesimsen zusammengebunden; hier wie
dort bilden die mit Ohrenrahmen versehenen Mezzanin-
fenster eine eigene Zone innerhalb des Piano Nobile; hier
wie dort wird das niedrige Obergeschoß von hochrecht-
eckigen Ohrenfenstern gegliedert. Auch die übrigen Motive
fand Sansovino bereits an früheren Bauten vor: So hatte
Sangallo um 1516/17 am Pal. Baldassini jene Eckrustika
eingeführt, deren Plastizität von den groben Bossen des
Erdgeschosses über eine glattere Zwischenstufe bis zu den
flachen Schnittsteinquadern des Obergeschosses stufen-
weise abnimmt. Eine ähnlich weiche, lichtempfindliche
Oberfläche wie die Erdgeschoßquadern besitzt die Rustika
des Pal. J. da Brescia. Doch die Wirkung der Fassade des
Pal.Gaddi ist von Raffael ebenso weit entfernt wie von
Sangallo.

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