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Füssli, Johann Rudolf; Füssli, Johann Heinrich [Editor]; Füssli, Johann Rudolf [Contr.]
Allgemeines Künstlerlexikon oder Kurze Nachricht von dem Leben und den Werken der Mahler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Kunstgießer, Stahlschneider ... (2,7, Anhang): welcher das Leben Raphael Sanzio's, und die Litteratur von dessen Werken in sich faßt — Zürich: Orell & Füßli, 1814

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https://doi.org/10.11588/diglit.59570#0010
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Gabsn des jungen Raphaels, und Pietro, der
frühe Talente vorzüglich liebte, giebt ihm sein Ja-
wort. Voll Freuden kehrt Johann nach Urbino
zurück, und holt denfünf- bis sechzehnjährigen
Knaben ab, den die zärtliche Mutter freylich nicht
ohne bittere Thranen entlassen kann. Schon auf
den ersten Anblick wird Vanucci von dessen ange-
nehmen Manieren eingenommen; und als derselbe
nun vollends rhm seine Zeichnungen vorlegt, fällt
der scharfsichtige Peruginer von ihm ein Urtheil,
das eine kurze Folgezeit gerechtfertigt, und die
ganze Nachwelt bestätiget Hatz.).
Die Fortschritte, die er unter seines neuen Leh-
rers Leitung machte, waren so bedeutend, daß er
dessen Behandlung und Geist bald vollkommen er-
reichte , und Beyder Werke, als aus Einer Hand
hervorgegangen, erschienen. Zu seinen ersten öf-
fentlichen Arbeiten in Oel zählt man zweye, die
er in seinem siebenzehnten zu Citta di Castello ge-
malt: Eine Krönung des Einsiedlers St. Nwcolo
da Tolentino durch die Hand der H. Jungfrau
und St. Augustins, in der Kirche dieses letzter»;
und in St. Dominic ein Crucifix zwischen zwey
Enge!,-- die das Blut des Gekreuzigten in Kelche
Alsfassen; dann ein drittes bey Herrn Annibal
Maggiori in St. Fermo (ein Silentrum), wo
man auf dem Stock von St. Joseph wirklich die
Buchstaben: K. 8. V. XVII. x. liefet. Alle
drey zwar ganz Peruginesisch, doch so, daß Lanzi
in jedem derselben, theils in der Anordnung, theils
im Ausdrucke und der Schönheit der Köpfe, schon
einen höhern Charakter, als den seines Meisters
finden will. Noch viel mehr scheint dies der Fall
mit zwey andern Bildern zu scyn, deren eins im
Kloster St. Francesco zu Perugia, die Himmel-
fahrt Mariä (unten die zwölfApostel), das andre,
im Kloster gleichen Namens zu Citta di Castello,
das Verlöbmß der H. Jungfrau darstellt 6.). In
diesem letztem" (sagt Lanzi) »haben die beyden
Verlobten eine Schönheit, welche Raphael in sei-
nen spathern Werken nur selten höher trieb. Die
H. Jungfrau zumal ist von himmlischer Grazie;
eine Schaar der artigsten Jungfrauen, im zierlich-
sten, abwechselndsten Hochzeitschmucke begleitet sie.
Aber unter ihnen Allen glanzt, als Siegerin, die
Hauptfigur, nicht mit fremder Zierde, sondern
durch ihre eigene; durch Adel, Schönheit und
Bescheidenheit. Alles an ihr reißt auf den ersten
Anblick hin, und nöthigt zum Ausrufe: Weiche

schone Seele! Was Göttliches herbergt in ihr! —
Eben so treflich ist das Begleit von Joseph gewählt
und ausgeführt; da wurde man die kalte Schön-
heit, das mühesame Praktische, den engen Falten-
wurf, u. s. f. von Vanucci vergebens suchen. Alles
ist freylich auch hier mit Fleiß gebildet, von einem
Feuer belebt, das in Miene und Bewegung jeder
Person neu ersichtlich wird. Dann, zum Staffage
eine Landschaft, nicht von jenem dünnen Gesträuche,
wie Pietro es in den seinigen mit wenig Pinselstri-
chen anzudeuten pflegte; sondern aus der Natur
geschöpft, wahr und vollendet. — Und jener runde
mit Säulen umzingelte Tempel, »mit so viel Liebe"
(heißt es bey vafari) »ins Perspektiv gebracht,
daß man mit Erstaunen bemerkt, wie gerne der
Künstler die Schwierigkeiten suchte, um sich im
Ueberwinden derselben zu üben. Im Hintergründe
sind schöne Gruppen angebracht, wo sich Raphael
bereits als Meister in der damals noch neuen Kunst
der Verkürzungen zeigt 7-).
Wie viele von den vorgenannten fünf ersten be-
kannten öffentlichen Arbeiten von Raphael noch an
ihrer alten Stelle ersichtlich seyen, ist uns unbe-
kannt; zuverläßig ist es wenigstens, daß sich die
Himmelfahrt Mariä aus Perugia in Paris befinde,
eben so wie eine zweyte ähnliche Darstellung. Diese
Notiz; erhielten wir zuerst durch den:
a Rom iZio. 8.104. Seither aber fanden wir
solche vollkommen bestätigt durch das Narmel äa
Museo Enk. IV. Hier erscheinen näm-
lich zwey einander dem ersten Anblicke nach fast
ganz gleiche Bilder, welche beyde die Himmelfahrt
der H. Jungfrau, oder vielmehr die Krönung der-
selben, nach ihrer Aufnahme in das Reich ihr's
göttlichen Sohns darstellen. Das eine ist dasjenige,
von welchem Vasan spricht, für St. Francesco zu
Perugia gefertigt (8^ 2" hoch, n" breit).
Dieses beschreibt erwähntes LNanue! (1. e.
Nro. 7.)/ wie folgt: »Raphael malte dasselbe in
seinem Achtzehnten, als er sich noch in der Schule
dcu Perugino befand; man erkennt darin noch die
Manier des letzter»; aber bereits sind viele Figuren
in einer bessern ausgeführt; im Detail übertraf dec
Schüler schon seinen Meister, aber noch folgte er
diesem in der Zusammensetzung. Die zwölf Apo-
stel rings um das Grab, ans welchem jetzt Blu-
men entsprießen, sind gut gereihet, und lassen nicht
mehrern Raum zwischen sich, als nöthig ist, dankt
der Zuschauer sie alle sehen kann. Alle stehen gerade

5. ) Vasari, all'Obiges ausdrücklich! Dann Manches sehr schön ausgernalt (/Um. a. kam. igio. 8. 2.)wie folgt:
„Dies war die erste Epoche in dem Leben Raphaels! In dem stillen Vaterhause das einzige Kind, von
allen jugendlichen Zerstreuungen entfernt, zu welchen das Leben mit meyrern Geschwistern so leicht führt,
von liebenden Eltern allein und ungstheilt geliebt, von den Wiege an zur Kunst, und zwar zur religiösen
Kunst bestimmt, mußte sich in ihm eine Harmonie des Gemürhs erzeugen, welche, mit dem Talent einer
eben so tiefen als feurigen Anschauung verbunden, den Grund zu seiner nachmaligen Künstlergröße legte. Die
Starke seiner geistigen Kraft, aus einer höchst glücklichen Organisation hervorgehnd, ward durch keine Jugend-
kampfe zum Gegendruck, folglich zu keiner Charakterharte und Eigenheit gerecht. So wie sein Herz sich stets
liebend anfschließen konnte, indem ihm nichts widerstrebte, so entwickelte sich auch, mit der Welt so wie mit
sich selbst zufrieden, sein Verstand. Daher erwachte schon früh in ihm das Gefühl wie der Begriff der voll-
kommensten Harmonie, oder der höchsten irdischen Schönheit, und seine Folgsamkeit in der Annahme des
Bessern, das Hingeben seines ganzen Wesens an die Führer in seiner Kunst, ward keine Sklavarey."
6. ) Vafari u. a. nennen die Himmelfahrt zu Perugia vollends als sein erstes öffentliches Werk, das er (nach
Einigen) schon in seinem Fünf- bis Sechszehnten gemalt haben soll, was aber Üanzi, wegen dessen Vorzüg-
lichkeit vor jenen drey zuerst genannten, bezweifeln will
7. ) «Ich bin" (sagt Canzi am Schlüsse seiner Beschreibung dieser und ein Paar anderer der oberwähnten frü-
hesten Werke von Raphael) „darum ausführlicher über dieselben, als bisher kein anderer Schriftsteller ge-
wesen , damit der Leser daraus dis Seltenheit dieses Genie, ohne Gleiches, erkennen möge. An dem, was
er in später« Jahren vollbracht, haben in gewissem Sinne auch andre Künstler, deren Werke er sah, ihren
Autheil; aber seinen Flug in dieser ersten Zeit hatte er einzig der inner» Kraft seiner Fittiche zu danken.
Sein liebendes, freundliches, und zugleich edles, erhabenes Naturell führte ihn zum Jdealschönen, zur Grazie,
und zum Ausdrucke, diesem hauptsächlich philosophischen und schwierigsten Theile der Malerey. Wunder in
dieser Gattung zu thun, dazu reicht weder Fleiß noch Kunst hin. Ein natürlicher Geschmack für die Auswahl
-^Schönen, das Verstandesvermögen, aus vielen Partikularschönheiten sich das Bild einer vollkommenen zu
entwerfen; ein lebhaftes Gefühl, das, schnell, wie ein Feuer, den augenblicklichen Ausdruck einer Leidenschaft
ergreift, und die Leichtigkeit eines äußerst folgsamen Pinsels, um das Erfaßte eben so schnell darzustellen —
dieses waren bey Raphael Kunstmittel, welche einzig die Natur ihm ertheilen konnte, und die sie schon in
seinen frühesten Jahren so reichlich über ihn ausgeschüttet hatte."
Von jenem Spo,alizio heißt es noch anderwärts: „Die Zeichnung in diesem Bilde ist weit runder und
voller, als in allen seinen vorhergehenden Arbeiten, und der Eindruck, den das Ganze macht, so angenehm,
daß es an leisem Gefühl des Sanften und Lieblichen im sogenannten Styl des Perugino nichts zu wünschen
übrig läßt. Die Freyheit, die er darin zeigte, beweist, daß er die Selbstständigkeit seines Geistes sich immer
(schon frühe) zu erhalten gewußt." Mm. u. Kom igro. 8. 10Z L.
 
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