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Füssli, Johann Rudolf; Füssli, Johann Heinrich [Editor]; Füssli, Johann Rudolf [Contr.]
Allgemeines Künstlerlexikon oder Kurze Nachricht von dem Leben und den Werken der Mahler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Kunstgießer, Stahlschneider ... (2,7, Anhang): welcher das Leben Raphael Sanzio's, und die Litteratur von dessen Werken in sich faßt — Zürich: Orell & Füßli, 1814

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https://doi.org/10.11588/diglit.59570#0063
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den man Raphael nennt - weder die Schönheit
der Formen, noch viel weniger des Cokorits, wie
in seinen übrigen Bildnissen; hier scheint er krank,
sein Ang' erloschen, Haar und Bart vernachlässigt,
und letztrer vollends falsch zu seyn 291). Dafür
aber ist der andere Ksps des sogenannten Fecht-
lehrers (oder, wenn man lieber will, si)öntor-
mo's) von größter. Schönheit in Zeichnung und
Ausdruck, und die schwere Verkürzung der rechten
Hand ein wahres Meisterstück 292):
17. Endlich nennt l'Epl'eiL noch ein in dem
Inventar der König!. Gemälde als Raphael ge-
nanntes Bildniß Papst Adrian VI: was aber un-
möglich das Werk des Unsrigen seyn könne, da
Adrian nicht nur erst itt 1Z22. zu dieser Wurde
erhoben worden, sondern sich auch früher niemals
in Italien befunden habe 293).
Hiernachst öessndcn sich im Französischen Mu-
seum, als Kutist-Eroberungen, neben dem schon
früherhin Erwähnten, noch Folgendes:
18. Die Madonna delle Seggiola von dreh
Halbfiguren, aus dem Pallaste Pitti (r> 5" im
Durchmesser). Dies ist eines von denjenigen be-
rühmten Bildern unsers Künstlers, dessen Vasant
(fast unbegreiflich zu hören!) mit keinem Worte
gedenkt. Zu Florenz, wo es sich seit 1539. soll
bekunden hüben, war es hinter Glas verwahrt.
Fußlr, der solches nur aus dem freylich trefflichen
Stiche von Morghen kannte, beschreibt es schon
nach diesem, wie folgt: „Maria auf einem Stuhle
sitzend hält das Kind mit Inbrunst auf dem Schooße,
und hat ihr Haupt-, mit nachdenkeiider aber zufrie-
dener Mine, bis an bas Gesicht desselben gesenkt. —
Ernst, Würde und Anmuth sind in ihrem Gesichte
mit der schönsten Form vereinigt. Das Kind,
welches sich still an die Mutter schließt, und in
einer ruhenden Wendung sitzt, scheint auch nach-
denkend zu seyn, und sein Gesicht hat, ungeach-
tet der notwendigen kindischen Form, etwas
außerordentlich Geistreiches in seinen Zügen, Und
besonders in seinem Blicke. — Johann, der sich
an den Schooß der Maria in einer attbeterden
Stellung lehnt, und dessen Gesichtszüge nur Un-
terwerfung und Demuth ausdrücken, macht einen
besondes schönen Kontrast in dieser vortrefflichen
Gruppe", u. s. f. Dann aber rühmt vörderst
Richardson an demselben das mit großer Einsicht
angebrachte Helldunkel, und das wunderschöne Ko-
lorit , besonders an dem Arm des Christkindes der
im Lichte steht, die Mannigfaltigkeit und Zartheit
der Tinten, so wie überhaupt die meisterhafte,
nichts minder als geleckte Vollendung des Ganzem
An der Zeichnung rügt er einzig das etwas Ge-
zwungene an der Hand der H. Jungfrau, so wie
an dem vorgestreckten Fuße des Kindes. Vom Aus-
drucke im Charackter des letztern heißt es dort
(wohl nicht ganz ohne Grund), daß derselbe nicht
die ruhige Erhabenheit, wie in andern ähnliche«
Bildern, sondern etwas Ernstes, fast wegwerfendes,
immerhin aber nicht Unwürdiges an sich trage. Von
den Haaren, ebenfalls des Kindes, sagt er, daß
eine Locke derselben, wie vom Schweiß zusammen-
geballt, auf die Stirne fallen. Bis auf einige
etwas gebleichte Stellen und kleine, Spalten ser-
bas Werk vollkommen erhalten. Meyer dann in
den Propyläen bemerkt, mit gewohnter Scharf-
sicht: Die meisten sogenannten Madonnenbilder und
H. Familien gehören nicht zu den idealischen, soii-
bern zu den reinmenschlichen Darstellungen der
Kunst; selbst die unsrige sey nicht mehr, als viel-
leicht nur die sürtrefflichste dieser Art". Wahr-

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scheinlich ist hier die H. Jungfrau ein Bildniß,
ober sie könnte es doch seyn; denn es leben gewiss
zu allen Zeiten und in jedem Lande eben so schöne
Frauen, und vielleicht mehrere als man denken
möchte. Gedachtes Bild hat nichts von dem Ho-
hen- Heiligen, Himmlischen, was wir mit der
Idee von der Mutter Gottes zu verbinden pflegen,
sondern es ist bloß treue Darstellung der reinsten
Menschlichkeit, und gerade daher fließt sein unwi-
derstehlicher Reitz; darum liegt es allen Wünschen
Und Hoffnungen jedes Herzens so nahe, nnd be-
darf keines fernern Zwecks, keiner andern Bedeu-
tung: Wo sie demnach, wie hier, menschlich han-
delt, auf Erden ist und lebt, mit ihrem Kinde
beschäftigt ist- dasselbe pflegt, herzt, u. s. a.
da sey sie menschlich, unschuldig, zart, sanft —
das Symbol der Mutterliebe, d.h: des gemäch-
lichsten und zartesten Triebes im Menschen; sie
kann nur an Innigkeit- an dem Anziehenden und
Rührenden für uns verlieren, wenn sie in ihrem
menschlichen Zustande anders als eine liebende Mut-
ter dargestellt erscheint; denn wir können ja von
der Mutterliebe durch nichts einen höher» utrd
schöner» Begriff geben, als durch die Wirkung
derselben. Der kleine Johannes bann ist (wenig-
stens in unserm Bilde) bloß eine Zuthat, welche das
Kunstwerk mehr rundet, und die Anordnung des-
selben vollkommen macht, aber deswegen Vie Dar-
stellung in ihrem inner« Charackter nicht andern
kann". Auch die Franzosen, nachdem sie diese
Juwele aus Floren; erbeutet hatten, konnten deS
Preises derselben kaum satt werden. „In diesem
Bilde" (sagt Landon, freylich etwas flach) „sicht
man den reinsten Ausdruck von Seelenruhe und
Herzensgüte in der Mutter; keine Leidenschaft stört
die Züge ihres Gesichts, und die Kinder — wie
lieblich, freundlich und naiv! Das Ganze ist voll
Anmuth und Grazie. Das Kolorit dann ist über-
aus einfach. In spathern Zeiten erwarb sich Ra-
phael mehr Kraft des Pinsels; allein" (dies nun
sehr gut) „diese Simplicitat der Farbengebung
paßt gerade hieher; durch einen prachtvollern Pin-
selstrich und ein stärkeres Kolorit würde dieses lieb-
liche, harmonische, sanfte Ganze nicht gewonnen
haben". Hauptsächlich aber lesen wir im: Manuel
äu Nuseurn Trantzais (Nr. ) Nachstehendes: „In
seinen H: Familien scheint Raphael seinem Urty-
pus einer Madonna von Alter zu Alter gefolgt
zu haben, und z. B. die gegenwärtige keine an-
dere als die sogenannte Madonna die Gärtnerin,
Vom Sechzehnten zUm Vier und Zwanzigsten ge-
langet, zu seyn. Hier stand ihre Schönheit auf
der obersten Stuffe; sie hörte auf zu wachsen und
noch schöner zu werden. Alles ist in diesem Kopfe
vollendet; seine Formen sind die anmuthigsten und
zugleich regelmäßigsten, die man sich denken kann.
Wer die Umrisse und Züge desselben studiren will,
wird bemerke«, wie alle diese Züge nicht allein
schön, sondctn auch für einander gemacht — die
Augen tiefer liegend (enclmsZes) und geistreicher
sind, und zu der mehr geformten Nase, und dem
feinern ausdrucksvollern Munde gehören. Auch
das Oval ist gebildeter und »linder rundlicht. Der
Bau ihrer Wangen (les möplats) hat breitere
Contoure; von der frühern zarten Blüthe sind sie
zu ihrer Frische gelangt. Auch ihr Anzug ist be-
sorgter, geschmückter- nicht mehr unbeachtet wie
iü ihrer ersten Jugend. In dem Kinde hienächst
nehmen wir das nämliche Wachsthum wahr; es
hat seine fünf Jahre erreicht, schon spürt man
ihm Würde an. Raphael Hütte das Verhältniß

sAl) r.« trait -rsni «8t äu sagt dann freilich der oberwähnte Kmistrichter, woraus wir wieder schließen
sollten, daß Larmeffins Stich, uns der Nachstich km Umrisse (eben im Manuel selber) den Kopf weit alter
als das Urbild darstellen.
292) S. Älle dies l. c. dort mit weit Mehrerin ausgeführt.. In nenern Tagen gab von diesem Bilde ein Blatt
P. Audoin, nach le Fort's Zeichnung für's xxix. Heft des Museums Napoleon.
29Z) ,'FprcrV l. c. p. 9Z.
 
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