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APOLL VOM BELVEDERE

ganz die Andeutung des unteren Augenhöhlenrandes, indem die Wange
direkt an die Augapfelfurche stösst; das untere Lid ist breit und hart ge-
bildet, und der Teil zwischen Oberlid und oberem Augenhöhlenrand ist
ebenfalls noch ganz nach älterer Weise konventionell gestaltet, völlig ver-
schieden vom Belvederischen Apollo. Nicht einmal die Schwellung dieses
Teiles nach der Schläfe hin ist richtig wiedergegeben; der Orbitalrand ist
nämlich bis zur Schläfe als hart und scharf vorspringender Bogen gebildet
und durch eine leichte Furche von dem sehr knapp gehaltenen Wulste
darunter abgesetzt. Dies sind aber alles die Kennzeichen, welche die
Werke der phidiasischen Epoche noch unterscheiden von denen der praxi-
telischen.

Die Kunstart des Londoner Kopfes ist uns aber keine unbekannte
mehr. Dieser Typus schliest sich eng an eine Serie an, die wir schon
früher behandelt haben. Zunächst ist der ganze Ausdruck des Kopfes,
die Wendung und vor allem die Form des geöffneten Mundes mit den
stark geschwungenen Lippen von gleicher Art wie an den Dioskuren von
Monte Cavallo und den ihnen verwandten Werken. Dann aber hat das Haar
in seiner eigentümlichen Asymmetrie über der Stirne und in den Formen,
wie es die Stirne umgrenzt, eine auffallende Aehnlichkeit mit den Köpfen,
die wir dem älteren Praxiteles zugewiesen haben (S. 138 ff; Fig. 26—28).
Der Zusammenhang scheint uns ein so persönlicher, dass wir auch hinter
dem Londoner Apoll ein Werk jenes Künstlers vermuten müssen.

Die Bewegung der ganzen Statue hatte von der schwebenden Eleganz
der belvederischen jedenfalls noch nichts; sie ist mehr in der Weise der
Dioskuren von Monte Cavallo, wenn auch gewiss nicht so heftig, zu denken.
Das rechte Knie wird mehr ausgebogen und ein wirkliches Ausschreiten
dargestellt gewesen sein. Wir erinnern hier auch an eine Athena des
phidiasischen Kreises, die in einer Statuette von Epidauros kopiert vorliegt.1
Hier sieht man an einem trefflichen Beispiel, wie der phidiasische Stil eine
hilfreiche, stürmisch dahinschreitende Gottheit auffasste. Der Kopf ist leb-
haft umgewandt, das Knie des ausschreitenden Beines tritt weit vor. Die
Bewegung ist einfach, eckig, aber schwungvoll, gross. Nun sondert sich
uns auch die Eigenart des Leochares schärfer heraus: durch seine Umge-
staltung ward die Bewegung erst leicht, elegant und schwebend.

Der Apollo des phidiasischen Kreises, vermutlich des älteren Praxiteles,
den wir rekonstruiert haben, stellte den Gott gewiss auch als Helfer und
Retter dar, wie jene eilende Athena die heilende Hygieia ist,2 und wie

1 'Eqnjtieplg äpx- 1886, Taf. 12 links; Athen. Mitth. 1886, S. 309 ff (Petersen). Nicht
nur der Helm, auch der Typus des Gesichtes und Haares ist hier ganz phidiasischer Art.

2 Die Deutung von Petersen a. a. O., dass die Statue dadurch, dass sie der „neu-
geborenen" Göttin des Ostgiebels am Parthenon ähnlich sei, auch Beziehung auf Gesundheit
habe, scheint mir allzu gesucht und unwahrscheinlich. Die Göttin ist hier vielleicht einfach
 
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