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DER NAME DES HEILIGTUMS 9

dass den Kern zahlreicher Legenden alter Kulte an den Küsten des ägäischen Meeres
eben jener Meersprung bildet (Sam Wide in Festschrift für Benndorf, S. ij ff). Die
Erklärung- dafür hat kürzlich Gustave Glotz in seiner trefflichen Schrift JJordalie dans
la Grece primitive, Paris 1904 geliefert. Das hohe Alter jener Sagen erhellt daraus,
dass sie auf primitiven sozialen Zuständen und uraltem Brauche des Gottesurteils beruhen.
Der Sprung ins Meer ruft das Urteil des Meeres an, das als der gefürchtete Sitz der
Geister und des Todes angesehen ward. Doch das Meer ist gerecht, und der Gute kann
immer auf seine Hilfe rechnen. Wird der sich in das Meer Stürzende gerettet, so ward er
von den Geistern, die dort hausen, gnädig aufgenommen; er ist also nun selbst ein heiliges
göttliches Wesen. Der Verfolgte, der vom Meere aufgenommen wird, wird gefürchtete
rächende Gottheit im Meere. Die Legende berichtet den Meersprung besonders von
Frauen (von Männern gehören namentlich Theseus, dann Skiron und Kephalos hierher).
»L'ordalie primitive est la defense des faibles« (Glotz). In der Motivierung des Sprunges
bei den weiblichen Gottheiten kommen namentlich zwei Typen vor: entweder ist die Frau
angeschuldigt und sucht durch den Sprung sich unschuldig zu machen (so Ino Leuko-
thea und die ihr verwandten Gestalten), oder das Mädchen wird von einem Liebhaber
verfolgt" und entflieht diesem durch den Sprung ins Meer; so Britomartis und die ihr
Verwandten. Die Kulte dieser Göttinnen waren ausserordentlich weit verbreitet an allen
griechischen Gestaden des ägäischen Meeres und erfreuten sich offenbar einer grossen
Beliebtheit besonders in alten Zeiten, ehe die grossen olympischen Götter die kleineren
lokalen Gottheiten mehr und mehr in sich aufnahmen.

Es Hegt in der Natur dieser weiblichen Wesen, die durch das Gottesurteil des
Meersprungs zu Gottheiten geworden sein sollten, dass sie insbesondere den Frauen
Helferinnen sind. So wird uns denn auch z. B. von einer aus diesem Kreise, von der
Brizo auf Delos, berichtet, dass sie den Frauen im Schlafe Orakel erteilt und dass die
Frauen ihr Weihgeschenke in Form von Booten voll von allem Guten mit Ausnahme
von Fischen darbrachten. Und von einer anderen, der Hemithea vom knidischen Cher-
sones heisst es, dass sie den Frauen eine Geburtshelferin ist; den Kranken'erscheint sie
im Traume; ihr werden nach uralter Sitte nur fieUxgazov Spenden gebracht und kein
Schwein zum Opfer zugelassen; ihr Heiligtum war voll von Weihegaben.

In diesen Kreis ältester Göttinnen gehört nun auch die Aphaia von Aegina. Wie
sehr die alten Weihegaben, welche die Ausgrabungen zu Tage brachten, es bestätigten,
dass auch sie wesentlich als Helferin der Frauen gedacht ward, werden die späteren
Kapitel lehren.

Zunächst wenden wir uns dem weitaus bedeutendsten Überreste dieses Heiligtums
zu, der noch heute stehenden Ruine des grossen Tempels. ,, F«
 
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