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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0454
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Schluss

Am Anfang dieses Buches stand die Frage nach dem medialen Status visionärer Er-
fahrungen in der mittelalterlichen Bildkunst. Im Durchgang durch drei übergeordnete
bild- und mediengeschichtliche Paradigmen der mittelalterlichen Visionsdarstellung
ist deutlich geworden, wo entscheidende Umbruchmomente in der mehrsträngigen
Geschichte unseres Themas liegen. Abschließend geht es mir noch einmal darum, die
in den drei Teilen des Buches gewonnenen Ergebnisse zusammenzuführen und danach
zu fragen, welche weiterreichende Perspektive sich daraus für die Bild-, Medien- und
Visualitätsgeschichte des Mittelalters entwickeln lässt.

Um nochmals zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Das in verschiedenen Reli-
gionen bekannte Wahrnehmungsmuster der Vision, so könnte man aus Sicht heutiger
Wahrnehmungs- und Kognitionstheorie formulieren, hat sein Fundament in der
Fähigkeit der menschlichen Imagination, erkenntnisstiftende Evidenzen und Sug-
gestionen von Nähe zu produzieren, die über die Grenzen des bloßen Augenscheins
hinausreichen. Dieses Potential einer erweiterten Anschauung wird im Visions-Diskurs
einer transzendenten, außerhalb des menschlichen Subjekts verorteten Bild-Quelle
zugewiesen und so mit dem Anspruch auf absolute Verbindlichkeit verknüpft. Für das
jüdisch-christliche Weltbild ist die Annahme eines solchen bildhaften „Kanals" der
Offenbarung, um mit Birgitta zu sprechen, deshalb ein fundamentales Prinzip, weil
es davon ausgeht, dass Gott in einer Sphäre des Unsichtbaren agiert und sich von dort
aus den Menschen offenbarend mitteilt. Genau in diesem Zusammenhang dürfte ein
wichtiger Anreiz schon für das frühe Christentum bestanden haben, nicht allein auf
Schrift als kanonisches Aufzeichnungs- und Verbreitungsmedium zu setzen, sondern
auch auf die visuelle Evidenz materieller Bilder.1 Der besondere Status von Visions-
darstellungen besteht in dieser Perspektive darin, dass sie sich auf eine selbst schon
bildliche Offenbarung beziehen und so die Möglichkeit bieten, das Verhältnis zwischen
der Medialität der Vision und derjenigen der materiellen Bilder zu definieren.

Die Repräsentation visionärer Erfahrung ist in allen Phasen des Mittelalters ein
wichtiger Bestandteil der Bildpraxis. Die ältere Forschungsmeinung, erst mit dem
12./13. Jahrhundert beginne so etwas wie ein „visionäres Zeitalter", in dem erstmals
das bildkünstlerische Interesse an der Vision als Bild-Medium greifbar werde, möchte
ich entschieden in Zweifel ziehen.3 Setzt man neben dem äußeren und dem inneren
Blick die göttliche Schau als dritten Sehmodus an, dann tritt auch schon an den früh-
mittelalterlichen Darstellungen einer visio prophetica ein überaus reflektierter Umgang
 
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