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Abb. 15. Legationsrat Kestner.
Bleistiftzeichnung, um 1830. (Zu Seite 33.)
Das hier wie-
dergegebene Bildnis
(s. Abb. 7), das der
junge Künstler von
seiner Braut gemalt
hat, soll nach der Fa-
milienüberlieferung
in jener Zeit entstan-
den sein; in Wahr-
heit ist es wohl erst
fünf Jahre später,
nach seiner Rückkehr
aus Italien, gemalt.
Nach Italien
nämlich stand zu-
nächst sein Künstler-
sinn, so schwer ihm
auch die Trennung
von der Geliebten
wurde. Seine Hoch-
achtung vor den nie-
derländischen Land-
schaftern, namentlich
Vor Ruisdael und
Everdingen, war noch
dieselbe. Daneben
aber war ihm das
Verständnis für den
„höheren Flug der
Gedanken" aufgegan-
gen, den er in den Werken von Claude Lorrain, Poussin und Tizian verkörpert fand;
zugleich für die reichere Schönheit der italienischen Natur gegenüber der niederländischen
Ebene. Mehr und mehr hatte sich in ihm die Erkenntnis gefestigt, daß er nur in
Italien finden könne, was ihn dem Ziele näher führte. So faßte er sich eines Morgens
ein Herz und bat van Bree, sich beim Großherzog zu verwenden, daß er nach Italien
gehen dürfe. Van Bree stimmte zu; er entlasse ihn, schrieb er dem Großherzog, „mit
der schönsten Hoffnung, sich in Italien ganz auszubilden". Auch Goethe und Meyer,
die seine Fortschritte stets im Auge behalten Hatten und besonders mit seinem eifrigen
Studium der menschlichen Gestalt zufrieden Waren, mögen seinen Wunsch befürwortet
Haben. Kurz, er erhielt die Zusage und kehrte im Juni 1826 nach Weimar zurück,
um sich zur Reise nach dem Süden zu rüsten.
Wieder erwies sich ihm Goethe als treuer und kundiger Berater; „nie," sagt er
selber, „bin ich von Goethe weggegangen, ohne eine Anregung in meinem Beruf oder
eine gute Lehre mit nach Hause zu bringen." In seiner Gegenwart sah der alte Herr
die Mappe mit Naturstudien durch, die er aus Antwerpen mitgebracht hatte, und
ließ nur von Zeit zu Zeit sein Hm! Hm! Hören. „Beim letzten Blatte räusperte er
sich, und zwar so stark, daß ich einen Schreck bekam, und begann folgendermaßen:
Ich sehe mit Freuden, daß Ihnen die Natur am Herzen liegt. Doch damit Sie sich
mit ihrem Wesen im Ganzen vertraut machen können, will ich Ihnen einen Rat
geben. In der ganzen Natur ist kein Produkt, heiße es wie es wolle, ohne irgend-
eine Beziehung zu einem andern in seiner Nähe stehenden. Um Ihnen ein deutliches
Beispiel zu geben: merken Sie genau auf beisammenstehende Bäume oder geringere
Pflanzen. Die, welche dicht beisammen stehen, entwickeln sich ganz anders als solche,
welche größeren Raum zwischen sich haben. Auch der Boden, auf welchem sich die
Gensel, Preller.2
Abb. 15. Legationsrat Kestner.
Bleistiftzeichnung, um 1830. (Zu Seite 33.)
Das hier wie-
dergegebene Bildnis
(s. Abb. 7), das der
junge Künstler von
seiner Braut gemalt
hat, soll nach der Fa-
milienüberlieferung
in jener Zeit entstan-
den sein; in Wahr-
heit ist es wohl erst
fünf Jahre später,
nach seiner Rückkehr
aus Italien, gemalt.
Nach Italien
nämlich stand zu-
nächst sein Künstler-
sinn, so schwer ihm
auch die Trennung
von der Geliebten
wurde. Seine Hoch-
achtung vor den nie-
derländischen Land-
schaftern, namentlich
Vor Ruisdael und
Everdingen, war noch
dieselbe. Daneben
aber war ihm das
Verständnis für den
„höheren Flug der
Gedanken" aufgegan-
gen, den er in den Werken von Claude Lorrain, Poussin und Tizian verkörpert fand;
zugleich für die reichere Schönheit der italienischen Natur gegenüber der niederländischen
Ebene. Mehr und mehr hatte sich in ihm die Erkenntnis gefestigt, daß er nur in
Italien finden könne, was ihn dem Ziele näher führte. So faßte er sich eines Morgens
ein Herz und bat van Bree, sich beim Großherzog zu verwenden, daß er nach Italien
gehen dürfe. Van Bree stimmte zu; er entlasse ihn, schrieb er dem Großherzog, „mit
der schönsten Hoffnung, sich in Italien ganz auszubilden". Auch Goethe und Meyer,
die seine Fortschritte stets im Auge behalten Hatten und besonders mit seinem eifrigen
Studium der menschlichen Gestalt zufrieden Waren, mögen seinen Wunsch befürwortet
Haben. Kurz, er erhielt die Zusage und kehrte im Juni 1826 nach Weimar zurück,
um sich zur Reise nach dem Süden zu rüsten.
Wieder erwies sich ihm Goethe als treuer und kundiger Berater; „nie," sagt er
selber, „bin ich von Goethe weggegangen, ohne eine Anregung in meinem Beruf oder
eine gute Lehre mit nach Hause zu bringen." In seiner Gegenwart sah der alte Herr
die Mappe mit Naturstudien durch, die er aus Antwerpen mitgebracht hatte, und
ließ nur von Zeit zu Zeit sein Hm! Hm! Hören. „Beim letzten Blatte räusperte er
sich, und zwar so stark, daß ich einen Schreck bekam, und begann folgendermaßen:
Ich sehe mit Freuden, daß Ihnen die Natur am Herzen liegt. Doch damit Sie sich
mit ihrem Wesen im Ganzen vertraut machen können, will ich Ihnen einen Rat
geben. In der ganzen Natur ist kein Produkt, heiße es wie es wolle, ohne irgend-
eine Beziehung zu einem andern in seiner Nähe stehenden. Um Ihnen ein deutliches
Beispiel zu geben: merken Sie genau auf beisammenstehende Bäume oder geringere
Pflanzen. Die, welche dicht beisammen stehen, entwickeln sich ganz anders als solche,
welche größeren Raum zwischen sich haben. Auch der Boden, auf welchem sich die
Gensel, Preller.2