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Gerhard, Eduard [Hrsg.]
Etruskische Spiegel (Band 4) — Berlin, 1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.5025#0182
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58

V. TR01SCHER SAGENKREIS.

auf dasselbe hinblickend, obwohl in voller Vorderansicht, eine bei reichlichem Haar-
wuchs mit einer Stirnkrone, wie auch an Hals Ohr und rechtem Arm geschmückte,
unverhüllte, nur ihr rückwärts und linkerseits sie bedeckendes Gewand mit beiden
Händen fassende, auch beschuhte Frau, sei es die mütterliche Freundin des jungen
Helden, sei es die den Neigungen des Paares günstig zusprechende Liebesgöttin. Noch
zwei andere Figuren sind übrig. Im Hinlergrund steht eine langbekleidele, an Stirn
und Hals geschmückte Frau, deren rechter Arm auf die linke Schulter gelegt ist; ihre
Gestalt ist zum Theil verdeckt durch die silzende Figur eines oberwärls entblössten,
rücklings und unterwärts in seinen Mantel gehüllten, voilbärtigen Allen mit kahler
Stirn. An seine rechte Schulter gelehnt ist ein Herrscherstab, welchen er mit seiner
Rechten, den Zeigefinger wie im Gespräch erhebend, oben berührt, während die linke
Hand nachlässig demselben aufruht. Beide letztgedachte Figuren sind wiederum auf die
zuerst erwähnte Frauengestalt dieses Bildes gerichtet; gemeinsam ist ihnen auch die
punklirte Verzierung der beiderseitigen Gewänder. Dass mau ein Herrscherpaar hier
vor sich habe, wird auch durch das im Hintergrund sichtliche Gebälk eines Pracht-
gebäudes uns nahe gelegt.

Betrachten wir nun unser Bild in seiner Gesammlheit, so wird Niemand dagegen
sich sträuben, in dem zuletzt beschriebenen Paar die Eltern des uns zugleich vorge-
führten jungen Kriegers oder der Schönen zu erblicken, mit welcher eine Schulzgöttin
des Helden verkehrt und zu deren Schmückung eine dämonische Flügelgeslalt, gleich
der Siegesgöttin Glück und Erfolge verheissend, in den Lüflen einherschwebt. Kunsl-
erklärer, denen die griechische Sage geläufig ist, werden um eines solchen Bildes Deu-
tung nicht sehr verlegen sein; anknüpfend an Ellernpaare der griechischen Mythologie
kann man, wenn doch das Kostüm an den phrygischen Priamus und seine Hekuba uns
nicht denken lässt, von Oeneus und Althäa, Ereciitheus und Praxithea, Tyndareos und
Leda ausgehend, das junge Paar auf den Liebesbund ihrer tapfersten Söhne und schön-
sten Töchter zu deuten geneigt sein. Nach allerlei Umfragen, wie die zünftige Ar-
chäologie sie gern aufzugeben pflegt, würde man dann wol am Liebsten sich für die-
jenige Schöne entscheiden, die unter den Frauen der griechischen Vorzeit stets als die
schönste gepriesen ward. Helena, des Sieges der Schönheil von Nike versichert, von
Menelaos umworben, von Aphrodite begünstigt, von ihrer dem Zeus vertrauten Mutter
Leda und deren sterblichem Gemahl Tyndareos wohlgefällig betrachtet, könnte mil Hin—
Weisung auf berühmte Dichtungen und Darstellungen als leicht verständlicher Gegenstand
unseres Bildes anerkannt werden, und wenn der Ausdruck der schönen Frau vielleicht
nicht warm genug für eine Liebende uns erscheint, so steht es uns dennoch frei, selbst
bei veränderter Deutung in jener Hauptperson des Bildes die Helena gemeint zu glau-
ben, dergestalt dass nicht ihre Brautwerbung wol aber ihre wundersame Begegnung mit
 
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