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Gerland, Otto
Paul, Charles und Simon Louis Du Ry: eine Künstlerfamilie der Barockzeit — Stuttgart: Paul Neff Verlag, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.65344#0177
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j59

Wir kommen zur berühmtesten Leistung Du Ry’s, welche zu-
gleich sein letztes grösseres Werk sein sollte, zur Anlage des Lust-
schlosses Weissenstein oder, wie es der fürstliche Erbauer Wil-
helm IX. nach sich benannte, Wilhelmshöhe. Mit dem Bau wurde
zwar schon alsbald nach dem Regierungsantritt des Landgrafen be-
gonnen, allein es gehört die Darstellung davon an den Schluss von
Du Ry’s Thätigkeit, weil das grosse Werk eine Reihe von Jahren in
Anspruch nahm und weil wir hierbei Du Ry allmählich durch die
unter seiner Leitung herangebildeten jüngeren Kräfte ersetzt, ja bei-
seite geschoben sehen. Hinter dem Klassicismus erhob sich die Ro-
mantik.
Ueber die Bedeutung der grossartigen Anlagen ist bereits in
Hauptstück I das Nötige gesagt. Sie hatten im siebenjährigen Kriege
stark gelitten, hatte sich doch am 22. September 1761 ein Gefecht bis
auf die obere Fläche des Oktogon gezogen, auf welcher 120 Berg-
schotten, nachdem sie sich schliesslich mit den von der Brüstung
abgebrochenen Steinen verteidigt hatten, von den aus der Festung
Kassel ausgefallenen Franzosen gefangen genommen wurden. Land-
graf Friedrich II hatte nach dem Hubertsburger Frieden die Anlagen
wieder hergestellt. Aus dieser Zeit rührt vielleicht das auf das Dach
des Schlosses gesetzte Türmchen mit Schlaguhr, das wir jetzt auf dem
Marstall angebracht sehen. Aber der alte Park mit seinem in ge-
schnittenen Fichtenhecken eingerichteten Theater für Schäferspiele,
mit seinen zahlreichen Tempeln und Götterbildern u. s. w. aus der
Zeit nach 1763 *) entsprach nicht mehr dem neuen, auf die Natur
zurückgehenden Geschmack der sogenannten englischen Gartenanlagen,
das Schloss war baufällig geworden und erwies sich auch wohl den
neueren Bedürfnissen nach Raumentfaltung gegenüber als zu klein.
Es wurde also von Wilhelm IX. alsbald nach seinem Reo-ierungsantritt
beschlossen, die ganze Parkanlage umzuändern und an Stelle des
Schlosses ein neues zu erbauen (Fig. 45). Im November 1785 gedieh
der Plan zur Reife und 1786 begann die Ausführung.2) Zuerst wur-
den die Schlossflügel und die Kapelle abgebrochen, dann ein Ent-
p Es fanden sich u. a. ein Uraniatempel zur Vornahme astronomischer Beobachtungen,
ein ägyptischer Tempel mit der Grotte des Harpokrates, eine Nische mit einer Venus, alte
bemalte hölzerne Götterbilder, an Stelle des Lak waren fünf regelmässige Teiche, wohl die
-alten Fischteiche des Klosters, daneben ein kleines Bassin mit einem kleinen Wassersprung,
das mit seinen Zuflüssen den Styx und Phlegethon vorstellte, südwestlich am Schloss ein „fast
gotischer“ Bau (vielleicht eine alte Klosterkapelle, die zum Gottesdienst eingerichtet und in
welchem ein Bad und ein chemisches Laboratorium angebracht waren).
2) Die Nachrichten über diesen Bau sind den Akten des Königlichen Staatsarchivs zu
.Marburg über die Erbauung des Schlosses Weissenstein bezw. Wilhelmshöhe entnommen.
 
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