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Gerstenberg, Kurt
Ideen zu einer Kunstgeographie Europas — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 48/​49: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.61188#0019
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nische Kunst taucht in Rußland zuerst in Novgorod
auf. Nur in engeren Verhältnissen läßt sich eine gleich-
mäßige Ausbreitung stilistischer Gedanken von bestimm-
ten Orten aus feststellen.
Neben dieser Kunstwanderung im großen Maßstabe,
die immer bestimmte Richtungen einhält, läßt sich bei
lokal engerer Umgrenzung immer wieder eine Strahlung
von einem Kunstzentrum aus beobachten, wie sich das
oft schon durch die Tätigkeit einer Bauhütte in der
engeren und weiteren Umgebung des Mutterbaues er-
gibt. Es müßte kartographisch einmal festgelegt werden,
welche Bedeutung für die Stilentwicklung weiter Land-
striche jeweils einzelne künstlerisch hervorragende Bau-
werke erlangt haben. Ich wähle ein Beispiel aus der
Romanik des beginnenden 13. Jahrhunderts. Die Ein-
flußsphäre der Bauornamentik des Baseler Münsters
schwingt nach allen Seiten aus, reicht südwestlich bis
nach St. Ursanne in der Schweiz und nördlich durch
das ganze Elsaß hinauf, bleibt aber östlich vom Rhein
begrenzt und verläuft in den Tälern der Vogesen: Geb-
weder und Kaysersberg.
Auch noch eine dritte Erscheinung der Kunst gehört
in das Gebiet der geographischen Behandlung. Innerhalb
der großen, internationalen Stilentwicklung wechselt das
Primat der Völker von Jahrhundert zu Jahrhundert;
im 16. Jahrhundert gehört es Italien, im 17. Jahrhundert
den Niederlanden und im 18. Jahrhundert geht es an
Frankreich über. Aber auch innerhalb der Formensysteme
ist die Kunst nicht eine still von einem Mittelpunkt
aus verstrahlende Kraft, sondern wie jede Phase des
Stiles, abgesehen von ihrer Darstellungsstufe innerhalb
der organischen Entwicklung, die Wesensart und den
Ausdruck eines Kunstträgers, Volkes oder Stammes ent-
hält, wird bei diesem die Erscheinungsweise am reinsten
und leuchtendsten in die Augen fallen. In Frankreich
steht im 12. Jahrhundert die Kunst des Südens (etwa

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