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Gerstenberg, Kurt
Ideen zu einer Kunstgeographie Europas — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 48/​49: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.61188#0020
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Angouleme, Limoges, Moissac) im Vordergrund. Mit dem
13. Jahrhundert verschiebt sich das Interessezentrum
nach dem Norden, nach der Normandie und der Isle
de France. In der Baukunst Deutschlands haben im
13. Jahrhundert die Gebiete links und rechts des Rheins
unzweifelhaft das Übergewicht, im 14. Jahrhundert
treten Westfalen und die Randgebiete der baltischen
Provinzen mit den bedeutendsten Kunstleistungen her-
vor. Doch auch Schwaben kommt mit den neuen Pro-
blemen eines Raumstils, die im 15. Jahrhundert in
Franken und Bayern durchgearbeitet werden, bis mit
dem Beginn des 16. Jahrhunderts das Primat sich deut-
lich nach Mitteldeutschland verschiebt.

III.
Betrachtet man die Kunst Europas nicht in der üb-
lichen Weise als deutsche, französische, italienische
Kunst, kurzum nicht als getragen von irgendeiner poli-
tischen Volksgemeinschaft, sondern losgelöst von aller
Geschichtsentwicklung, so ergeben sich neue und be-
deutsame Zusammenhänge. Es zeigt sich nämlich, daß
unabhängig von allen Stilprinzipien und durch alle Form-
systeme hindurch weit übergreifende Kunstgemeinschaf-
ten vorhanden sind, die einzig durch die Kunstgeographie
faßbar werden, wie sie auch durch die geographische
Lage ihre Erklärung finden. Große, völkerverbindende
Zonen gemeinsamer optischer Anschauung laufen wesent-
lich in der Richtung von Südwesten nach Nordosten
quer über Europa hin. Um sie festzustellen, kann man
sich weniger an die Werke der großen Kunst halten,
denn es kommt dabei nicht in erster Linie auf die
Qualität des einzelnen Kunstwerkes an. Ähnlich wie
man bei der Seelenanalyse eines Individuums sich nicht
an die Momente halten darf, die Resultat bewußter
Absicht und Anspannung sind, sondern die scheinbar
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