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Viel tiefer, als diefesMeisterwerk sleht
der „Ganymed" in Anordnung wie Aus-
führung, fo dass wohl die Frage nicht allzu
ketzerisch erfcheinen dürfte, ob wir es hier
wirklich mit einer Schöpsung Correggio's
zu thun haben; nicht mit einer Figur des
Künstlers, sondern mit einer Composition,
einem Bild. Denn das Erftere sleht aller-
dings ausser Zweisel. Der Freskenschmuck
des Domes von Parma zeigt in den vier
Kuppelzwickeln die Schutzheiligen der
Stadt, aus Wolken thronend, zwischen
denen Genien munter aus und nieder
klettern. Einer clieser Genien nun ist das
Ebenbild unseres ,,Ganymed" oder sagen
wir gleich: sein Vorbild; und zwar nicht
blofs im Grossen und Ganzen, sondern Zug
um Zug und Strich sür Strich. Ist es wahr-
scheinlich, dass sich Correggio, dieserMeister
der beweglichen Phantasie, selbst copirt
habe? Und böte er auch fonst ein Beispiel
gleicher Aermlichkeit, sür diesenFall wäre
es doch kaum massgebend. Correggio
findet nicht immer die schönfte Bewegung,
aber stets die wahre, die charakteristische.
Sehen wir daraushin die nebenftehende, treu
reproducirte Figur des Genius an. Alles an
ihm drückt selbstthätiges Handeln, sicheres
Beweeen in eigenem Elemente aus. So
namentlich die sreischwebende Haltung
der Beine und das leicht zurückgeneigte
Antlitz, das lächelnd in den weiten Raum
ausblickt. Er scheint fich eben herniedergesenkt zu haben und sucht mit ausgestreckten Armen Halt
an den Wolken, denen Correggio, wie immer, körperhaste Widerftandsfähigkeit gegeben hat. Aber die
vorhergegangene Bewegung sindet noch einen deutlichen Reflex in dem baufchig aufwärts flatternden
Gewand. Wie reimt sich das Alles zum „Ganymed"? Man sollte meinen, gerade die entgegengesetzten
Motive wären hier am Platze, da er nicht niederschwebt, sondern emporgehoben wird. Ein viel gerügter
Mangel der Figur ist ferner die unschöne und unverständliche Haltung des vom Beschauer abgewendeten
Beines. Aus dem erwähnten Fresko nun erfcheint dasselbe nicht schöner, aber motivirter, da eine vor-
ftehende Wolke das rechte Knie verdeckt. Es ift daher kein Ersordernifs der Compofition, sondern
blofser Copiftenunverstand, wenn auf dem „Ganymed" des Belvedere die Wolke verschwindet, ohne
dafs das Knie fichtbar wird. Auch die Draperie hat bei der Uebertragung nur eingebüsst. Ursprünglich
srei angeordnet und klar in ihrer Tendenz, bekömmt sie durch die Einsügung der Adlerkrallen einen
kleinlichen, zerknitterten Charakter und erfcheint überdiess in der Richtung ihres Fluges völlig widersinnig.

Ganymed. (Dom zu Parma.)
 
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