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Göttergeschichte; jener wurde in der Kirche, dieser in der Schule gehuldigt. Ohne die erste gab es
keine Seligkeit im Himmel, ohne die zweite keine aui Erden. Und so wurde damals in unseren katho-
lischen Kirchen von Apollo und Venus gesprochen; so nahm ein geistlicher Redner keinen Anstand,
dem sehr katholischen Könige Philipp III im Leichensermon nachzurühmen, dass er dem heidnischen
Kaiser Trajan vergleichbar gevvesen, und sich dabei wörtlich der Lobpreisungen bediente mit denen
Plinius seinen Herrn und Meister verherrlicht hat. Auch hierin war Rubens ein Sohn seiner Zeit und
er schilderte mit nicht minder inniger Überzeugung den Himmel, in welchem Venus waltet, als den in
welchem die heilige Jungfrau thront. Sein Gemüth war erfüllt von dem Drama der Leidensgeschichte
des Heilands, sein Geist und seine Bildung aber waren beherrscht von den olympischen Göttern. Kein
Zweifel: auf seinem Lesepult lagen das Evangelium und Ovid's „Metamorphosen" einträchtig neben-
einander, die schöne Wahrheit neben der schönen Dichtung.
Und wie hätte es auch anders sein können? Seine ganze Erziehung, alle seine Lehrjahre hatten
zusammengewirkt, um ihm „die Götter Griechenlands" lieb und vertraut zu machen, sowie ihn für
deren Schönheit zu begeistern. Eines der hervortretendsten Kennzeichen der älteren niederländischen
Literatur ist der Werth, der auf sinnbildliche Darstellung gelegt wurde. Diese Vorliebe entsprang
einer Eigenthümlichkeit unseres Stammes: dem Hange lehrhaft aufzutreten, insbesondere aber Sitten zu
predigen, welcher unsere ganze erzählende und dramatische Poesie in ihren Keimen ertödtete undsowohl
in der Literatur wie auf der Bühne der didaktischen Richtung die Alleinherrschaft sicherte. Aber es
ging nicht gut an, die weisen Lehren mit einfachen Worten vorzubringen, sondern in das graue Tuch
der Predigten mussten Blumen geslickt werden. Und diese Blumen bildeten die Allegorien, die Sinn-
bilder. Auf der Bühne sah man damals „Sinnenlust" und „Geistesanmuth", „Arbeit" und „Trägheit",
„Natürliche Neigung" und „Wissbegierde" gegen einander zu Felde ziehen; je abstrafter eine
Personification war, desto schöner erschien sie und desto geistreicher, je schwerer man sie verstehen
konnte. Die alleg-orischen Personificationen der Rhetoriker bahnten den Weg; zur Literatur der
sogenannten „Emblemata", welche in der zweiten Hälfte des 16. und in der ersten des 17. Jahrhunderts,
also gerade in der Zeit, da Rubens wirkte, in voller Blüthe stand. Es war Mode geworden, seine
Gedanken und Weltbetrachtungen sinnbildlich auszudrücken und seine Philosophie durch ein Bild mit
Überschrift an Mann zu bringen. Dazu trat eine andere, durch die Humanisten in Schwung gekommene
Mode: das Prunken mit lateinischem Classicismus. Erasmus von Rotterdam hatte bereits Anhänger in
Antwerpen; Otto Venius, der Lehrer Rubens', war ein „Latinist" von grossem Ruf, ebenso seine Brüder
und dessen Sohn. Rubens selbst war in der Sprache Cicero's derart bewandert, dass Balthasar Moretus, als
er nach dem Tode von lipfius Grab- und Lobschriften zu Ehren dieses Oberhauptes der Schulgelehr-
samkeit sammelte, auch Rubens um einen Beitrag anging. Mit dem Studium der lateinischen Sprache
ging das der griechisch-römischen Mythologie Hand in Hand. Kein Classiker wurde emsiger gelesen als
Ovid; in seiner Ausgabe der „Metamorphosen" sagt van Manier, dass das Werk „bei uns allgemein
die Maler-Bibel genannt wurde". Die Gelehrten und Literaten, die Dichter und Redner schöpften
unaufhörlich aus dieser Quelle; die Prosa und die Poesie in lateinischer wie in niederländischer Sprache
ist zu jener Zeit bombastisch angestopft mit Götter- und Heldengestalten, deren Genealogie und
Geschichte manchem Schriftsteller geläufiger waren, als die seiner eigenen Familie. Die Mythologie war
da nichts anderes, als ein Mittel, mit seiner Gelehrsamkeit zu prunken; sie that den Dienst der früheren
Sinnbilder. Es ist uns vor Rtlbens kein niederländischer Maler bekannt, der von den Gebilden der
classischen Mythologie innerlich ergriffen worden wäre; ein einziger Vers von Goethe oder de Muffet,
ein einziger Kopf von Thorvaldfen oder Flaxman birgt mehr poetische Empfindung, als alle
die zwecklos aufgewärmten Ovid'schen Geschichten, welche zu jener Zeit aufgetischt wurden.
 
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