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seinem Äussern die rohesten und niedrigsten menschlichen Leidenschaften unverkennbar ausgeprägt
zeigt, erfüllt die Bacchanalien; am scheusslichsten sind die dem „schönen Geschlechte" angehörenden
Mitglieder dieser Gesellschaften: die Satyrweibchen, denen säugende, bockfüssige Junge an beiden
Brüsten hängen und deren thierische Trunkenheit noch abstossender wirkt, als der gleiche Zustand ihrer
Männchen. Aber, obgleich Rubens diese Bilder zunächst in moralisirender Tendenz schuf, war seine
ganze Richtung doch zu sehr von dramatischem und epischem Geiste getragen, als dass er irgend eine
malerische Seite seiner Stosfe dem didaktischen Zwecke geopfert hätte. Seine Satyrn, die sich der
Nymphen bemächtigen wollen, sind niedrige Geschöpfe und werden uns vom Künstler auch als solche
vorgeführt; nichtsdestoweniger stattet er sie mit überströmendem Leben und mit schwungvollen,
muskelkräftigen Bewegungen glänzend aus, und ist auf die malerische Wirkung des Contrastes zwischen
den gebräunten Körpern der Waldgötter und den weissen, schimmernden Leibern der Waldnymphen
stets sorgfältigst bedacht. Man übersieht das Rohe und Niedrige ihrer Leidenschaften ob der Ange-
messenheit und Schönheit ihrer Kraftentfaltung. Und erst die Bacchanalien! Ja, Silen ist trunken, so
heute wie gestern und morgen, er ist mehr ein rollendes Weinfass, als ein gehendes Individuum; aber
was verschlägt's ? Ihm ist dabei „kannibalisch wohl", und er lässt sich mit innerlichem Behagen von
dem Gelage zur Ruhe schleppen; mit seinem weinfrohen Blick und seinem behaglichen Schmunzeln
scheint er den Leuten sagen zu wollen, dass er ihnen ja nichts zu Leide, sich aber viel zu Liebe thue.
Und das Gesindel, das mit einherzieht, was für ein malerisch prächtiger, licht- und farbenglitzender
Tross! Neben dem rothen fetten Bacchusknecht ein schlanker blanker Mädchenleib, der schwarze
Körper eines trunkenen Mohren, ein junger brauner Satyr und sein rosiges kleines Kind; neben dem
schwer forttaumelnden Trunkenbold die von Liebe und Wein berauschte Bacchantin, welche, das
Tambourin in den hoch emporgehobenen Händen, ihrer sinnlichen Lust durch freche Sprünge und
Umschlingungen Luft macht. In rein künstlerischer Hinsicht zeigt uns Rubens auf seinen Bacchanalien
ebensowenig etwas Widerliches, wie auf seinen Satyrbildern und geht nur darauf aus, uns zwei mächtige
menschliche Leidenschaften in übermenschlichen Verhältnissen zu vergegenwärtigen; der Realismus des
Künstlers gelangt in seinen Darstellungen des Hässlichen ebenso malerisch zum Ausdruck wie sein
Idealismus in den schönheitsvollen Gebilden. Seine mythologischen Arbeiten mögen die Darstellung
des Schönen oder Hässlichen bezielen: Rubens bleibt sich immer gleich als der Meister lebensvoller
Bewegungen, kräftiger Natürlichkeit und glänzender, lichterfüllter Farbe. Die uralten griechischen
Fabelmenschen werden unter seinem Pinsel zu vlämischen Zeitgenossen; ihre feinen Profile werden
rundlich, ihre schlanken Gestalten voll, ihre gemesfenen Bewegungen dramatisch belebt. Und über die
ganze Welt der „Metamorphosen", die er in seiner Art metamorphosirt hat, breitet er das schimmernde
Licht und den leuchtenden Farbenglanz aus, die seinen Göttern und Menschen eine ewig festliche
Stimmung verleihen.
Noch ein Wort schliesslich über Rubens' „Venusfest", das in dem trefslichen Stich Sonnenleiter's
zum ersten Male auf eine dieses Meisterwerkes würdige Weise reproducirt worden ist.
Der Schauplatz ist in eine schöne Landschaft verlegt; eine dichte Baumgruppe schliesst ihn auf der
einen Seite ab, auf der andern ein Marmortempel über einer Felsengrotte. Inmitten des Bildes erhebt
sich unter einem weitästigen reichbelaubten Baume ein Standbild der Venus, vor welchem eine Priesterin
Weihrauch verbrennt, indess drei andere Frauen die Göttin schmücken. Zahllose Liebesgötter tanzen
rund um die Statue, deren Marmorhaupt ein leichter Farbenschimmer fast wie ein Lebenshauch über-
zieht, und schliessen einen anmuthsvollen, reizend bewegten Kranz um das Piedestal; andere Amoretten
behängen eine zwischen den Kronen der Bäume über dem Götterbilde ausgespannte Draperie mit
Blumen und Fruchtgewinden und bilden gleichsam einen lebendigen Baldachin. Zur linken Seite der
5* (II. A.)
 
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