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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 2.1880

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Rooses, Max: Ruben's mythologische Darstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4148#0050
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Statue nahen sich ihr zwei reich gekleidete, in reiferem Lebensalter slehende Frauen, Mitglieder der
Familie des Meisters, die man auf zahlreichen Gemälden desselben häufig wiederfindet, welche der
Göttin, ohne Zweifel als Symbole des kindergesegneten ehelichen Lebens, Puppen zum Weihgeschenk
entgegenbringen; an ihnen vorbei eilen im Hintergrunde zwei halbentblösste Weiber hinter einem
bockfüssigen Panisken einer Bacchantengruppe zu, welche zur Rechten des Venusbildes in wildsinnlicher
Verschlingung herumtanzt. In diese Bacchantengruppe hat Rubens offenbar den Schwerpunkt der
Darstellung verlegt; sie ist auch derart geschlossen componirt, dass sie, den felsengetragenen Tempel im
Hintergrunde, für sich allein in reizvoller Linienführung ein selbstständiges Bild darbietet. Die sinnliche
wie malerische Kraft dieser Gruppe hat der Künstler nirgends überboten. In zügelloser Wollüstigkeit
umschlingen die Satyrn ihre Tänzerinnen mit Armen und Beinen, heben sie hoch empor, pressen sie
an sich und küssen sie voll Begehrlichkeit; aber auch die tanzenden Nymphen — eine derselben, die
von ihrem Gefährten in die Höhe gehobene hochbusige Blondine, trägt unverkennbar die Züge der
schönen Helena, der zweiten Gattin des Künstlers — spiegeln die entfesselte Sinnenlust, für welche sie
geschaffen sind, wieder und schmiegen sich willig an ihre Tänzer, deren dunkle Körper im malerischesten
Gegensatze slehen zu dem rosig leuchtenden Rücken, den glänzenden, wohlgerundeten Armen und
Schenkeln der kraftstrotzenden Bacchantinnen.
So begrifs und so schilderte Rubens den Triumph der Venus. Es war nicht sein Bestreben, die rohe,
verthierende Leidenschaft zu zeigen, noch auch die keusche Neigung, in der sich das Gemüthsleben
offenbart, sondern er wollte bloss die menschliche Sinnenlust symbolisiren, die im ungestümen Drange
ihrer Befriedigung nachstrebt. Desshalb hat er auf unterem Bilde den Dienst der Venus mit dem des
Bacchus verschmolzen und in der Darsteilung des ersteren Scenen vorgebracht, die nur beim letzteren
vorkamen. Das Zügellose des menschlichen Lebens in dem durch keine Cultur gebändigten Natur-
zustände wird hier mit einer Kühnheit der Bewegung und Handlung vorgeführt, die ganz unmittelbar
wirkt und weder in wüste Gemeinheit, noch in niedrige Nebenempfindungen übergeht. Die zu einer
Gruppe vereinigten drei tanzenden Paare weisen insbesondere eine ungesuchte Ursprünglichkeit der
Bewegungsmotive und eine harmonische Gestaltung der Formen und Contouren auf; Körper und
Glieder heben sich, kreuzen sich und schweben durcheinander, ohne dass irgend ein unschickliches
oder unschönes Zusammentreffen einträte.
In Bezug auf seine rein malerischen Oualitäten rechtfertigt das Bild vollauf Lützows enthusiastischen
Lobspruch: „Die Sprache versagt den Dienst, wenn es gilt, die Art der malerischen Behandlung zu
schildern, mit welcher diese Fülle von Gestalten auf die Bildssäche gezaubert ist" K Die Leichtigkeit und
Breite der Behandlung, die Harmonie der Töne, die lichte klare Gluth der Farben deuten auf die
späteste Zeit des Meisters, etwa von 1636—16402. Die Körper überströmen von Gesundheit und strotzen
in kräftigem Fleisch, das nirgends schlaff erscheint; die reizenden Putti im Vordergrunde, die anmuthsvollen

1 Dank der ausserordentlichen, unsere Gesellschaft auf das Tiesfte verpssichtenden Liberalität Seiner Excellenz des Herrn Oberst-
kämmerers Grafen Folliot de Crenneville ist das grosse Bild von der Wand genommen und im Copirsaale des Belvedere dem Stecher für die
ganze fünfjährige Dauer seiner Arbeit in die bequemste Sehweite gestellt worden. So hatten wir Gelegenheit, mit dem Bilde eine unter anderen
Umständen kaum erreichbare intime Bekanntschaft zu machen und wahrzunehmen, wie frei, ja improvisatorisch der Meister diese herrliche
Composition in den gewaltigen Dimensionen von 2*20 Meter Höhe auf 3-50 Meter Breite ausgeführt hat Es tauchen auf der Leinwand, unter der
farbenreichen Oberfläche deutlich sichtbar, einzelne abgeblasste Figuren auf, denen der Meister, osfenbar einer momentanen Inspiration folgend,
eine andere, als die ursprüngliche Stellung definitiv zugewiesen hat. Dies ist insbesondere bezüglich der zur Rechten des Beschauers tanzenden
Kindergruppe der Fall, welche jetzt weiter vom Venusbilde entfeint ist, als früher, so dass die Kopse und Glieder der gegenwärtig auf dem
Bilde sichtbaren Putti mit denen ihrer von der Bildfläche verschwundenen, aber bei näherer Betrachtung spukhaft heraustretenden Vorfahren
ein launiges Durcheinander bilden. DIE Redaction.
a Dafür spricht auch, wie schon Lützow gegen Waagen einwendet, dass Helene Forment, die erst 16 Jahre zählte, als -Rubens, im Alter von
53 Jahren slehend, sie am 6, December 1630 ehelichte, aus dem „Venusfest11 ungefähr 20 Jahre alt ausneht.
 
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