Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
69

sie

Watteaiis Erscheinen hatte zu Beginn des 18. Jahrhunderts die französische Kunst von der höflich pomphaften,
aber innerlich hohlen Grandezza befreit, in die sie während der letzten unglücklichen Regierungsjahre Ludwig'sXIV.
gebannt gewesen; Watteaus prickelnder, echt französischer Geist und sein durch das Studium der alten Holländer
erweckter und befestigter Natursinn zeigten der neuen Kunstrichtung Frankreichs den Weg. Fast ebenso einssuss-
reich, wenn auch ungleich geringer begabt, war der um vier Jahre jüngere Kunstgenosse Watteatis, der in Paris
1688 geborne Maler Francois Lemoyne. Nach glänzenden akademischen Studien — schon 1711 errang er mit einem
biblischen Bilde den prix de Rome, kam aber nicht in die ewige Stadt, weil der kriegführende König damals durch
einige Jahre kein Geld hatte, Colberis Stistung aufrechtzuerhalten — wurde der dreissigjährige Künstler 1718
Mitglied der Akademie und gehörte Zeit seines Lebens zu den angesehensten, meistbeschäftigten Malern. Kirchen
und Klöster überhäuften ihn mit Aufträgen, obgleich seine Bilder sich nicht einmal die Mühe gaben, religiöse
Empfindung zu heucheln, und vielmehr unbefangen eine heitere decorative Wirkung bezielten; denn gerade dieses
Bestreben, „die Gläubigen zu ergötzen", war nach dem Sinne der damaligen Geistlichkeit Frankreichs. Selbst-
verständlich fehlte es nicht an Aufträgen zu mythologischen und zu solchen Bildern, deren Vorwürfe man heutzutage
romantisch nennen würde, die aber damals hauptsächlich desshalb beliebt waren, weil sie der Entfaltung des „ewig
Weiblichen" Gelegenheit gaben. Sein ältestes „romantisches" Bild aus dem Jahre 1722, gegenwärtig im Museum
zu Besangon, ist dem „befreiten Jerusalem" entnommen und schildert die Episode „Tancred und Clorinde". Ein
Jahr später malt er „Perseus und Andromeda", die durch den schönen Stich von Laurent Cars bekannte Composition,
welche uns von dem Talente des Künstlers für wirksame Gruppirung und auch von seiner Formensprache einen
günstigen Begrifs gibt. Der Sinn des jungen, allgemein anerkannten Künstlers stand aber nach höheren Aufgaben:
nach monumentalen Decorationen, wie sie seit Lebrun und Antoine Coypel von französischen Malern nicht mehr
unternommen worden waren. Eine italienische Reise, die er Ende 1723 in Begleitung eines reichen Kunstfreundes
unternahm, bestärkte ihn ohne Zweifel in seinem Hange nach der grossen Kunst; leider aber scheinen ihn, wie sein
Biograph, der berühmte Ästhetiker Graf Caylus hervorhebt, die Arbeiten Pietro da Cortonds, namentlich dessen
Plafond im Palazzo Barberini, mehr ergrifsen zu haben, als Michel Angelds „Sixtina". Dass er in die unvergängliche
Schönheit der italienischen Renaissance nicht eingedrungen, beweist das 1724, unmittelbar nach der Heimkehr
gemalte Bild „Herkules und Omphale", von dem wir nach einem gleichzeitigen Stiche eine vorzügliche Repro-
duktion geben. So ungenau, beiläufig und kraftlos der Halbgott gezeichnet und modellirt ist, so graciös und
reizend ist, trotz der mangelhaften Umrisse, die Königin von Lydien. Ein neues, jahrelang „modern" gebliebenes
Schönheitsideal war durch diese Omphale geschasfen worden und das lichte, von einem rosigen Ton beherrschte
Colorit wurde später für die französische Schule charakteristisch. Eine Reihe kirchlicher und mythologischer Bilder,
die Lemoyne nach seiner Heimkehr schuf, befestigte seinen Ruf dermassen, dass er 1728 den Auftrag erhielt, ein
grosses Gemälde „Ludwig XV. verleiht Europa den Frieden" für Versailles zu malen, und dass ihm 1730 die
Ausschmückung einer Kapelle in der Kirche Saint-Sulpice zu Paris übertragen wurde. Das Fresco-Deckenbild hat
durch ein Brandunglück und durch mehrere weit grössere Unglücksfälle, nämlich durch „Restaurationen", so sehr
gelitten, dass man heute ein ganz verlässliches Urtheil über dasselbe nicht abgeben kann; sein monumentales
Hauptwerk jedoch, die 1736 vollendete, 142 Figuren umfassende „Apotheose des Herkules" in Versailles, gibt noch
gegenwärtig einen klaren Einblick in die neue, von Lemoyne angebahnte Richtung der französischen Schule. Der
damals allmächtige Minister, Cardinal Fleury — dass er Herkules hiess, war von dem höfischen Künstler nicht
übersehen worden — erwirkte Lemoyne 's Ernennung zum „ersten Maler des Königs" und so erhielt die neue
Richtung gleichsam ihre osficielle Sanstion. Wenige Monate darauf, im Juni 1737, gab sich der Künstler, der bei
Hof sich übergangen und von Feinden angeschwärzt glaubte, in einem Anfalle von Verfolgungswahn mit seinem
eigenen Degen den Tod.
Einer der ältesten Schüler Lemoyne s, der 1700 zu Nimes geborne Charles Joseph Natoire, welcher 1718 in
das Atelier des genannten Meisters gekommen war und schon 1721 den prix de Rome erhalten hatte, setzte die
neue Richtung fort. Die Bezeichnung „rival de Boucher", welche die Meldung seines 1777 erfolgten Todes enthält,
charakterisirt vortresflich die Nebenrolle Natoirc's in der Kunstgeschichte; obschon sein langes Leben reich war
an vielen von den Zeitgenossen äusserst günstig aufgenommenen Arbeiten, zählte er doch nur zu jenen Künstlern
geringerer Ordnung, welche ihrer Zeit den Stempel ihrer Persönlichkeit aufzudrücken nicht vermocht haben. Wir
können daher Natoire 's Werk, das ausserhalb Frankreichs wenig verbreitet ist, und seinen Lebenslauf um so eher
übergehen, als dieser Künstler auf die Entwicklung der Malerei während des Ancien regime keinen entscheidenden
Einssuss geübt hat. Als wahrer Genius der ganzen Schule erscheint vielmehr der etwas jüngere Francois Boucher
 
Annotationen