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geschnittenen Steinen ziert ein von Boucher entworsenes Titelblatt und den einzelnen Blättern merkt man es
deutlich an wenn stellenweise der Professor seine Hand nicht im Spiel gehabt hat. Sclbstverständlich wurde er
durch Bestellungen und Ankause von Seite der Marquise und ihres königlichen Beschützers reichlich gelohnt und
1755 von dem in Kunstsachen allmächtigen Herrn de Marigny, dem Bruder der Pompadour, zum Inspeclor der
Gobelinsmanusaclur ernannt. Diescs Amt hat er ernst genommen und für die seiner Leitung anvertraute Teppich-
sabrik eine Reihe von Entwürfen gefertigt; leider aber hat er das Decorationsprincip ebensowenig gewahrt wie
seine Vorgänger und Nachahmungen eigentlicher Bilder geliefert. Eines der interessantesten Stücke ist die neben-
stchend wiedergegebene Idylle: Schäserinnen inobenwie unten decollctirtemBallcostüm, denen ein ballettänzcrhaster
Eremit willkommene galante Abenteuer wahrsagt.
Uniäugbar beginnt bei Boucher mit seinem Eintreten in die officielle Stellung die Periode des Versalles. Er
fängt an, das Studium der Natur, selbst der weiblichen, die ihn sonst, trotz Weib und Kind, jederzeit so angeregt, zu
vernachlässigcn und Reynolds erzählt nicht ohne Erstauncn, dass er den berühmten Pariser Kunstgenossen ohne
Zeichnung noch Modell an einem grossen Bilde arbeiten sall. Ein Porträtmaler war er nie gewesen und einige
Bildnisse der Pompadour hat er ofsenbar nur aus wohl berechneter Galanterle gemalt, ohne recht bei der Sache
zu sein; so fehlte ihm selbst diesc Nöthigung zum Naturstudium, welche gar manchen Künstlcr vor Verslachung
bewahrt hat. Seit seiner Verbindung mit der Beherrscherin Frankreichs wird er immer mehr und mehr Mode-
maler und seine künstlerischen Ideen beherrschen bis zum Tode seiner Beschützerin das ganze Pariser Kunstgewerbe.
Zu den Prunkmöbeln, Wohnungsdecorationen, Tapeten und Teppichen, Kamingarnituren, Schmuckgegcnständen,
Fächern und Buchdecken, ja sogar zu den verzierten Wagen und Sänsten werden nur Boucher 's Skizzen und
Zeichnungen gesucht; der Künstlcr verschmaht es auch nicht, sür die Marquise gelegentlich einen Fächer zu
bemalen, ja selbst einen Hampelmann und Ostereier, die sie dem Könige verehrte. Dafür wurde er sogar nach dem
Tode der Pompadour, auf Betreiben ihres noch immer in Gnaden stehenden Bruders, 1765 zum ersten Hofmaler
ernannt. Diese vielbeneidetc Stellung imponirtc aber durchaus nicht den Kunstkritikern; einer derselben, kein
Geringerer freilich als Diderot, bemerkt in einem geistsprühenden Artikel über den Salon von 1765 geradezu, dass
Boucher in demselben Augenblicke zum ersten Maler des Königs ernannt worden sei, wo er aufgehört habe, ein
Künstler zu sein. Kaum sünf Jahre bekleidet er das vornehmste Amt, das ein Maler in Frankreich damals erlangen
konnte; am 30. Mai 1770 beschliesst er, wie Grimm in einer seiner berühmten Correspondenzen sseh ausdrückt,
„sein durch übermässige Arbeit und ungezügelte Vergnügungssucht verzehrtes Leben". Früher schon war seine
Kunst „ausser Mode gekommen" und noch bei Lebzeiten des Meisters hatte man begonnen, dessen Leistungen mehr
zu unterschätzen, als sie in Wirklichkeit verdienten. Der Verkauf der Sammlungen des Künstlers bewies jedoch,
dass er auch die hohe Kunst zu würdigen verstand; besass doch der Maler der Pompadour Bilder und Zeichnungen
von Rubens, Tizian, Correggio, Andrea del Sarto, ja sogar von Rembrandt, Teniers, Jacob van Ruisdael und van
Goijen. Zahllos waren in seinem Nachlasse die Studien und Zeichnungen; Boucher selbst hatte kurz vor seinem
Tode geäussert, dass er deren mehr als zehntausend in seinem Leben angefertigt habe und schon 1766,besass ein
einziger Pariser Sammler über fünshundert Handzcichnungen des Künstlers. Die von uns reproducirten Zeichnungen
geben von der Verve und Eleganz, mit der Bouclicr den Stift handhabte, und von dem decorativen Zug, der sie
alle beherrscht, eine klare Anschauung.
Die Geringsehätzung, ja Verachtung der Kunst Boucher's, welche namentlich seit der grossen Revolution
guter Ton geworden war, da alle Welt mit der Toga und Tugend des Römerthums die unverändert gebliebenen
nationalen Lcidenschaften zu bemänteln bestrebt war, liess eine eigentliche Schule Boucher 's nicht aufkommen.
Auch war der Künstlcr kaum darnach angethan, methodischen Unterricht zu crtheilen; nur wer ihm zusah, konnte
von ihm lernen. Durch sein Atelier ist Michel-Ange Challc gegangen, der 1765 zum „Dessinateur- du Cabinct du
Roy" ernannt wurde und in dieser Eigenschaft die künstlerischen Entwürfe zu Hofsestlichkeiten entwarf, wozu auch
die Leichenzüge gehörten. Boucher's Gattin, welche radirte und Miniaturen malte, und sein Sohn j[uftc, der sich
als Architekt und Decoratcur einen gewissen Ruf gemacht hat, sind ebenfalls als Zöglinge des Künstlers anzuseilen;
von eigentlicher Bedeutung sind jedoch bloss seine Schwiegersöhne Dcshays und Baudouin. Beide starben jung;
der Erstcre von den hervorragendsten Kritikern seiner Zeit als überaus hosfnungsvoll betrauert, der Letztere
minderbekannt, obgleich er die Art seiner Begabung in zahlreichen Werken, namentlich in seinen, durch den Stich
bekannten erotischen Gouachebildcrn zum vollen Ausdruck gebracht hat. Zur Charakterisirung jener Zeit sei
erwähnt, dass Baudouin 1768 für den von der Dubarry am Gängelbande geführten alten König Scenen aus dem
Leben der heiligen Jungsrau malte und ein Evangelienbuch mit Miniaturen versah; die Verquickung von Frömmelei

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