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SION WEN B AN.


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Nach einer Radirung von Sion Wenban.

Eine der prächtigen Alleen mit weit-
astigen alten Bäumen, die noch vor wenigen
Jahren alle Zufahrtstrassen nach München
umsäumten, zumeist jedoch der »Cultur«
ohne sichtlichen Zweck zum Opfer gefallen
sind, schmückt noch heute einen Weg, der
von Schwabing nach Norden zu hinaus-
führt ins meilenweit flache Land. In ziem-
lich grosser Entfernung von den letzten
Häusern liegt seitlich von diesem herrlichen
Baumgange ein neuer Friedhos.
Da senkte man am 23. April 1897 einen1
hinab zur Ruhe, von dem ausser wenigen
Künstlern die Welt sozusagen nichts
wusste, trotzdem er mit unter die Besten
zählte. Er war nie zu Berühmtheit, zu Namen, zu Ehren und Auszeichnungen gekommen, denn er
gieng allem aus dem Wege was nur im entferntesten ans »Platzmachen mit den Ellbogen« erinnerte.
Was er schuf, das entsprang rein innerlichem Drange. Er hatte, wie G. Keysner richtig sagt, »etwas
von dem selbstlosen Egoismus des Lyrikers, der seine Lieder wie Natur und Schicksal sie ihm entlockt
singt, ohne zu fragen, ob je ein fremdes Ohr sie vernehmen, ein fremder Mund sie nachsingen wird.«
Die das Grab umstanden — ein kleines Trauergeleit nur war es, ein Dutzend Männer etwa —
selbst sie kannten ihn vielleicht nicht alle in seiner ganzen Bedeutung, wenn sie auch in grossen Zügen
wussten, welch' hervorragende Kraft in dem wohnte, der jetzt da eingebettet lag zwischen »sechs
Bretter und zwei Brettchen«. Der Leiter der Secession, der Vorsitzende des Radirvereines legten
Kränze — die einzigen — nieder und weihten dem Todten ein freundschaftliches Abschiedswort, die
dünnen Glockenstimmen der kleinen Friedhofskapelle erklangen, am scharfblauen Firmamente
zogen grosse, weisse Wolkenballen dahin und ein scharfer Ostwind rüttelte an dem dürren Laub
der Alleebäume — dann polterten die Schollen hinab.....
Ein halbes Jahr später, im November 1897, wies der mächtige Treppenhaus-Saal des Münchener
Kunstvereins eine Collesitiv-Ausstellung auf, Kohlenzeichnungen, Aquarelle, Ölbilder; es waren
wohl an die hundertundfünfzig Nummern, »Sion Wenbans Nachlass«. Der ganze Nachlass war es
nicht einmal, nur ein Bruchtheil, denn noch liegen Mappen, voll der herrlichsten Arbeiten,
unberührt, ohne Rahmen, so wie der Autor sie von seinen Gängen ins Freie mitgebracht hatte.
Die Nachlass-Ausstellung ergab ein Verkaufs-Resultat von ein paar Tausend Mark. Die schönsten
Blätter giengen um geradezu lächerlich kleine Preise in diesen, jenen Besitz über und dennoch —
hätte Wenban bei Lebzeiten einmal nur so viel Geld sein eigen genannt, er wäre sich vorgekommen
wie ein Fürst. Sein Dasein war Armuth, Hunger, fortwährende Sorge um das Allernothwendigste.

i Gestorben am 20. April.
 
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