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wandelt Genelli geistreich die Legende der Mythe ab, wie in seinem »Herakles bei Omphale«, wo
er, um die Würde seines Helden zu wahren, die lächerliche Rolle des Wollespinners ersetzt durch
das schöne Motiv des der Geliebten von seinen Taten berichtenden Sängers. Oder er dichtet im
Geist der alten Mythe selbständig weiter, wenn etwa Eros, das Kind der Nacht, durch die Macht
der Musik die widerstrebenden Elemente vereinigt. Es ist kein Zufall, daß den deklamatorisch-
musikalischen Motiven gegenständlich eine so große Rolle in den Genellischen Kompositionen
zugeteilt ist; basiert alles Formale seiner Kunst doch auf der rhythmisch bewegten Linie. Homer,
den Griechen seine Gesänge vortragend, Sappho, den Freundinnen singend, Äsop, seine Fabeln
erzählend, Apollo, die Hirten durch sein Leierspiel erfreuend; oder in das Genre übertragen: die
Mutter, den Kindern Märchen vorlesend,1 das sind von ihm häufig variierte Themen. Genelli war
selbst ein glänzender Deklamator, das Talent erbte sich auf die älteste Tochter fort; im »Leben
eines Künstlers« ist an beides erinnert. Neben der antiken hat ihn die christliche Mythologie
beschäftigt; Simson, der biblische Herakles, war eine seiner Lieblingsfiguren. Was er in der Bibel
suchte, waren die Szenen von allgemein menschlichem Gehalt: Joseph und Potiphars Weib —
Moses, wie er die Tochter Jethros vor den Hirten schützt — Kain und Abel — Flucht der heiligen
Familie; allem Kirchlich-Dogmatischen blieb er fern. Das zeitgenössische Genre, dem er ja auch
nicht ganz aus dem Wege gegangen ist, erhielt unter seinen Händen etwas merkwürdig Heroisiertes;
wenn er eine italienische Obsternte skizziert und dazu einen Bauern und drei Weiber zusammen-
stellt, denkt man an die Fabel vom Paris-Urteil. Das Kirchlich-Mittelalterliche lag ihm nicht. An
Dante fesselte ihn das Phantastisch-Dämonische. Übrigens hat sich ja fast seine ganze Generation
an dem großen Florentiner versucht, den Cornelius einmal als einen »Dichter für alle Zeiten, für
jede Kunst« bezeichnet. Cornelius, der sonst sehr hoch von Genellis Kunst dachte, gefielen dessen
Dante-Kompositionen wenig; man kann ihm nicht anders als recht geben, wenn er sagte:
»Genellis antik-klassische Anschauungsweise, die seinen Homer so schön durchdringt, paßt nicht
für den Dante; der muß anders angegriffen werden«.2 Dagegen hat Genelli einige Male einen
glücklichen Sprung in das profane Mittelalter getan, wie in der prächtigen Illustration zu der
kernigen Sage von Friedrieh dem Freudigen und seinem durstigen Kinde oder dem dramatisch
erzählten sächsischen Prinzenraub. Und selbst den Ritt in das Land der Romantik hat er gewagt
in der hier erstmalig publizierten Folge »Aus dem Leben einer Feenkönigin«, einem reizenden, frei
erfundenen Märchen von der ehelichen Untreue und Bekehrung einer Königin, in dem die schalk-
hafte Anmut der Antike lebt.3

1 Das fünfte Blatt: Aus dem Leben eines Künstlers. Wie eine Variante dazu mutet das hier reproduzierte, ursprünglich wohl für denselben
Zyklus vorgesehene, später aber verworfene Blatt aus dem Besitz des Leipziger Kabinetts an, das die Gattin Genellis mit seinen vier Kindern zeigt.

2 Max Lohde in der Zeitschrift für bildende Kunst III (1868), 208.

3 Zu diesen nicht gestochenen, im Besitze der Wiener Akademie befindlichen fünf Kompositionen hat Genelli selbst folgenden Kommentar
gegeben:

TAB. 1. Auf einer Felshöhe sitzt neben einer Feenkönigin ihre Freundin, eine Nymphe Dianas, welche das Gelübde der Keuschheit brach,
sehnsüchtigen Auges auf das Meer hinblickend. Die Konigin tröstet sie, während Amor zur Laute singend ihr die Wehmut noch vermehrt. Luna, der
Königin zürnend, weil sie diese Nymphe schützt, steigt am Horizont empor.

TAB. 2. Die lustwandelnde Feenkönigin, von ihren Frauen begleitet, erblickt die nach der Geburt eines Knäbchens sterbende Freundin
welcher der trauernde Amor zu Häupten steht. Sie nimmt aus den Händen der Frauen das Knäblein zu sich.

TAB. 3. Als der von der Fee gerettete Knabe zum Jüngling reifte, sah sie ihn mit stets günstigem Augen an. Haß gegen die Konigin trieb
aber Luna, die Eifersucht im Gemahle der Konigin zu regen, der denn auch von der Göttin nebst einem seiner Geister in eine Grotte geführt wurde,
wo der Knabe und die Königin, von Hesperos beleuchtet, in tiefem Schlaf versunken liegen. Der König begnügt sich damit, des Knaben schönes
Antlitz in das eines Scheusals zu verwandeln, während jener schadenfrohe Geist die Augen der Schlafenden mit einer Blume berührt, welche die
Kraft hat, daß die Fee beim Erwachen auch dies Antlitz für liebreizend hält. Amor schleicht verlegen davon.

TAB. 4. Um zu wissen, wie sich die Arme geberden werde, wenn sie ihren Liebling mit dem Fratzengesicht erblickt, hat sich der Zauberer
in die Tiefe der Grotte versteckt. Dienerinnen der Königin, welche in der Grotte erscheinen, sehen mit Staunen, wie die Königin jenes kleine
Scheusal liebkost.

TAB. 5. Weil dem jungen Gemahle seine Königin leid tat, gab er dem Knaben seine frühere Bildung wieder. Man sieht, wie beide Gatten
Arm in Arm dastehen, sie dem weinenden Knaben nacheilend, der von jenem Geist über das Meer in ein anderes Reich geführt wird. Gegenüber
sieht man den vulgären Amor, wie er mit dem sieghaften Ehestandsamor um die Palme ringt.

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