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als es der kunstgeschichtlichen Forschung in neuerer Zeit gelungen ist,
eine fast vergessene Frühzeit seines Schaffens aus dem Dunkel wieder
emporzuheben, in der mit einer oft geradezu erschreckenden Wildheit
eine kraftstrotzende und leidenschaftliche Persönlichkeit ihrem Tempe-
ramente frei die Zügel schießen zu lassen scheint. Dieser junge Cranach
— der in der Tat kaum mehr ein Jüngling war, denn die Werke, die man
kennt, sind die des mehr als Dreißigjährigen — ward nun zum ausge-
sprochenen Liebling der neueren Kunstgeschichtschreibung. Hier war
eine problematische, eine fast genialische Natur, eine Persönlichkeit,
deren man habhaft zu werden vermochte, eine Handschrift, die keine
andere sein konnte als die des Meisters selbst, den man suchte, ein fast
ruckweiser Wandel von Werk zu Werk, der Einblick in eine stürmisch
sich vollziehende Entwicklung gestattet, kurzum, hier waren in geradem
Gegensatz zu den unpersönlichen, leidenschaftslosen Werken der späte-
ren Zeit, die in stetigem Nebeneinander entwicklungslos sich aufreihen,
alle Forderungen erfüllt, die eine individualistisch denkende Zeit an einen
Künstler stellen mußte, dem sie den Rang des Meisters zuerkennen sollte.

Nun ist es gewiß nicht zu leugnen, daß die in vieler Hinsicht unver-
gleichlichen Werke der Frühzeit Cranachs hochwillkommen sind als
unschätzbare Zeugnisse des Werdegangs eines großen Malers. Aber es
wäre ebenso gewiß ein Unrecht, über ihnen dasjenige zu verkennen und
zu vergessen, was seit alters den wohlbegründeten Ruhm von Cranachs
Namen ausgemacht hatte, und die Spätwerke des Meisters nur noch im
Schatten jener Frühwerke zu erblicken. Daß es trotzdem geschehen
konnte, ist erklärlich aus der allgemeinen Einstellung unserer Zeit oder
doch einer jüngstvergangenen Epoche, die wesentlich in der Richtung
der Anschauungen gleichzeitiger Kunstübung orientiert war. Die grund-
sätzliche Bevorzugung des handschriftlich Skizzenhaften und Proble-
matischen vor der abgeschlossenen und vollkommen in sich ruhenden
Schöpfung tritt überall in die Erscheinung, und der Gegensatz, der
zwischen den frühen und den späten Werken Cranachs so offenkundig
besteht, führte zu jener ebenso merkwürdigen wie begreiflichen Um-

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