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Glaser, Curt
Lukas Cranach — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.11573#0060
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Das Jahr 1506 war eines der ertragreichsten in Cranachs Holzschnitt-
produktion. Voran gingen zwei kleine Blätter mit einem Landsknecht
und einer Dame, ein wenig ängstlich noch in der Zeichnung, aber mit
den riesenhaft wallenden Federbüschen schon den nachfolgenden ähn-
lich, und das große Blatt der Verehrung des Herzens Jesu, das 1505 ent-
stand und eine der prächtigsten Leistungen des Meisters blieb. Der Jo-
hannes, der hier unter dem Kreuze kniet, gleicht noch wie sein leibhaftiger
Bruder jenem anderen, der auf dem Münchner Bilde die klagende Gottes-
mutter stützt. Schwer bauschen sich die Gewänder. In mächtigem Schwung
flattert das Lendentuch Christi, rollt sich das breite Spruchband zu seinen
Füßen, und in überzeugender Flugbewegung tragen die vier Engelputten
das riesige Wappenschild mit dem Herzen, in dem der Gekreuzigte er-
scheint. Um diese vier Engel hätte jeder Italiener den deutschen Meister
beneiden dürfen. Sie sind im wohlabgewogenen rhythmischen Wechsel
des Auf und Nieder nach dem kanonischen Gesetz der neuen Kunst er-
funden. Aber kein Zwang wird spürbar. Frei schwingen sie sich em-
por, jeder eine Einheit, und alle vier doch in Beziehung aufeinander
erfunden und zu einer schwungvollen Gruppe verbunden.

Angesichts dieser Fülle von Holzschnitten erhebt sich die Frage, ob
Cranach nur der Zeichner gewesen sei, oder ob er auch selbst das Schnei-
demesser geführt habe. Endgültig mit Ja oder Nein läßt sich diese Frage
so wenig für ihn wie für Dürer mit aller Sicherheit beantworten. Es
ist nicht gewiß, ob sich schon auf dieser frühen Stufe der Entwicklung
die Schnittausführung von der Zeichnung in der gleichen Weise getrennt
habe, wie es wenig später erweislich geschehen ist. Denn die reichere
Zeichnung stellte auch an die Geschicklichkeit des Holzschneiders an-
dere Anforderungen, als dieser bisher zu erfüllen gewohnt war. Und es
ist wohl denkbar und beinahe wahrscheinlich, daß gerade Meister wie
Dürer und Cranach, die der Holzschnittkunst neue Wirkungen abge-
winnen, wenigstens zuerst und gelegentlich selbst das Messer geführt
haben, um ein Beispiel zu geben und Handwerker heranzubilden, die
ihren Absichten zu folgen imstande waren. Es ist kein Gegenbeweis,

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