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brachten, wie Feuer und Wasser anfangs miteinander rangen, so
chaotisch ist auch das Innere des Erdgeborenen beschaffen, bevor
Klarheit, Ordnung und holdes Maß die Schrecken des Urwesens
daraus verbannen.
Klarheit, Ordnung und holdes Maß in Jahreszeiten, Tagen, Nächten,
Erdschichten, Pflanzen und Tieren, zu denen sich allgemach die
Erde durcharbeitete, sind vorbildlich für das Wesen des Menschen.
Mit Bewußtsein soll er jede Ungeheuerlichkeit abtun, sich von jeder
Maßlosigkeit befreien und einem Gesetz der Schönheit unterwerfen.
Das ist im großen Ganzen das Ziel ästhetischer Philosophie.
Höchst verschieden sind aber die Wege, dies Ziel zu erreichen,
sowie die Grundsätze, denen die Wanderer auf ihrem Weg ge-
horchen, wenn wir auch äußerlich zwei Hauptrichtungen erkennen,
Richtungen, die sich in allen geschichtlich aufeinanderfolgenden
Staatsverfassungen ein Spiegelbild gaben.
Die erste Richtung will durch Staat und Gesellschaft, durch mög-
lichst vollkommene, erzieherisch tief wirkende Gesetze den Menschen
in die ästhetische Fassung biegen und bilden.
Die zweite will den Menschen selbst, d. h. das Individuum auslesen,
im Sinn der Schönheit fördern und gestalten, so daß von ihm
aus die gesellschaftliche Ordnung ohne Zwang verbessert werde,
allerdings mit Unterdrückung der niedrig stehenden Elemente.
Fanatiker finden sich in beiden Richtungen, doch es kommt auch
vor, daß ein und derselbe philosophische Denker zuerst die eine,
dann die andere Richtung vertritt, durch irgend ein historisches
oder individuelles Erlebnis neu belehrt. So suchte Schiller beide
Anschauungen zu verschmelzen, nachdem der Gang der französischen
Revolution ihm gezeigt hatte, daß die erste Richtung einen schlim-
men Irrweg bedeuten kann. Er suchte fortan die ästhetische Durch-
bildung des Einzelnen als notwendige, grundlegende Bedingung
hinzustellen, da auch die bestgemeinten Gesetze, Bestimmungen,
Zwangsmaßregeln nichts fruchten, wenn sie auf schlechtes oder rohes
Menschenmaterial angewendet werden.
Selbst die schönsten Grund- und Aufrisse sind nutzlos, sobald dem
Bauherrn die Mittel für ordentliches Material an Steinen, Holz und
Eisen fehlen.
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