XXXIII
In bildungsfroher und bildungsstolzer Zeit stellten die Enzyklopä-
disten ein neues Schönheitsideal auf, die Kunst des Denkens, die
Aufklärung.
Damals nahmen in der Wertschätzung aller geistigen Führer die
Philosophen den Platz des Weisen im Altertum, des Heiligen, ja
des ruhmreichen Helden ein und sonnten sich in einem Einfluß auf
das gesamte Leben, den seit der Athener Philosophenschule Welt-
weise als solche nicht besessen.
Plötzlich brandmarkte aber zu allgemeinem Erstaunen ein junger
unbekannter Heißsporn Bildung, Wissenschaft und Literatur als
nichtige Dinge. Er nannte sie verderblich für jeden, der wahres
Glück erstrebte.
Der Genfer Jean-Jacques Rousseau ließ im Jahr 1750 den Discours
sur les Sciences et les arts drucken, eine kritische Verneinung des
Bestehenden.
Wir haben Naturforscher, Erdmesser, Scheidekünstler, Dichter, Musiker,
Maler, aber wir haben keine guten Bürger mehr, rief Rousseau pa-
thetisch aus, und wenn es noch einzelne gibt, so sind sie zerstreut
in einsamer Landschaft und verkommen dürftig, fast verachtet. Sind
unsere Nachkommen nicht noch törichter als wir selbst, so werden
sie die Hände zum Himmel heben und klagen: Allmächtiger Gott,
befreie uns von der Aufklärung und von den verhängnisvollen Künsten
unserer Väter, gib uns aber dafür Einfalt, Unschuld und Armut, die
einzigen Güter, die glücklich machen und dir wohlgefallen.
Eine fast kindliche Aufwallung läßt ihm, der gegen gezierte Schön-
geisterei und tote Gelehrsamkeit kämpfen wollte, ein goldenes Zeit-
alter als höchstes Ideal vorschweben, wie es nur Dichter in idylli-
scher Stimmung zusammengeträumt und aus dem seltsamen Wider-
spruch von primitivster Natureinfalt und höchster Gemütskultur ohne
Logik abgeleitet hatten.
In der Abhandlung über naive und sentimentale Dichtung sagt
Schiller von Rousseaus Schönheitstraum: Seine leidenschaftliche Emp-
findung ist Schuld daran, daß er die Menschheit, um nur des Streites
in derselben recht bald ledig zu werden, lieber zu der geistlosen Ein-
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In bildungsfroher und bildungsstolzer Zeit stellten die Enzyklopä-
disten ein neues Schönheitsideal auf, die Kunst des Denkens, die
Aufklärung.
Damals nahmen in der Wertschätzung aller geistigen Führer die
Philosophen den Platz des Weisen im Altertum, des Heiligen, ja
des ruhmreichen Helden ein und sonnten sich in einem Einfluß auf
das gesamte Leben, den seit der Athener Philosophenschule Welt-
weise als solche nicht besessen.
Plötzlich brandmarkte aber zu allgemeinem Erstaunen ein junger
unbekannter Heißsporn Bildung, Wissenschaft und Literatur als
nichtige Dinge. Er nannte sie verderblich für jeden, der wahres
Glück erstrebte.
Der Genfer Jean-Jacques Rousseau ließ im Jahr 1750 den Discours
sur les Sciences et les arts drucken, eine kritische Verneinung des
Bestehenden.
Wir haben Naturforscher, Erdmesser, Scheidekünstler, Dichter, Musiker,
Maler, aber wir haben keine guten Bürger mehr, rief Rousseau pa-
thetisch aus, und wenn es noch einzelne gibt, so sind sie zerstreut
in einsamer Landschaft und verkommen dürftig, fast verachtet. Sind
unsere Nachkommen nicht noch törichter als wir selbst, so werden
sie die Hände zum Himmel heben und klagen: Allmächtiger Gott,
befreie uns von der Aufklärung und von den verhängnisvollen Künsten
unserer Väter, gib uns aber dafür Einfalt, Unschuld und Armut, die
einzigen Güter, die glücklich machen und dir wohlgefallen.
Eine fast kindliche Aufwallung läßt ihm, der gegen gezierte Schön-
geisterei und tote Gelehrsamkeit kämpfen wollte, ein goldenes Zeit-
alter als höchstes Ideal vorschweben, wie es nur Dichter in idylli-
scher Stimmung zusammengeträumt und aus dem seltsamen Wider-
spruch von primitivster Natureinfalt und höchster Gemütskultur ohne
Logik abgeleitet hatten.
In der Abhandlung über naive und sentimentale Dichtung sagt
Schiller von Rousseaus Schönheitstraum: Seine leidenschaftliche Emp-
findung ist Schuld daran, daß er die Menschheit, um nur des Streites
in derselben recht bald ledig zu werden, lieber zu der geistlosen Ein-
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