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Gleichen-Rußwurm, Alexander
Die Schönheit: ein Buch der Sehnsucht — Stuttgart: Verlag Julius Hoffmann, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.65310#0172
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sonders der Adrastaea, veröffentlichte. Er sah die Zwiestrebigkeit der
Menschennatur in mannigfacher Wechselwirkung, aber unendlich ver-
schieden auf die Herstellung eines Geistes gerichtet, der Güte,
Wahrheit und Schönheit umfaßte.
In diesem Sinn arbeitete er auch an einem allgemeinen Völker-
frieden. Die antiken Dichter werden ihm zu Lehrern der Humanität,
und die Gestalten alter Kunst bezeichnet er voll Verehrung als den
hellen Strahl der sichtbar gewordenen, bedeutenden Menschheit.
Die gewaltige Aufgabe, die sich Herder gestellt, in den Quellen
und Bächen aller Zeiten und Völker die gemeinsame Stromrichtung
in ihrer Schönheitssehnsucht zu erkennen, trat in den Augen der
Welt vor den glänzenden Aufgaben zurück, die Goethe und
Schiller lösten. Ihr Wert muß gerechterweise wieder hervor-
gehoben sein.
Herders etwas zierliches Märchen Kalligenia*) scheint, die Rokoko-
gelehrsamkeit der Ästhetik gegenüber würdig und anmutig ab-
schließend, nach schöner Ferne zu weisen.
Er erzählt, wie Kailias, der Schönheitssucher, im Traum Kalligenia,
das Land der Schönheit, besuchen will. Zuerst gerät er in eine
ungeheuere Wüste, wo Knaben im tiefen Sand spielen oder Seifen-
blasen hauchen. — Was tut ihr? — Wir trennen das Schöne vom
Angenehmen, das Gute vom Schönen, wir machen das Schöne. Er
eilt weiter, das unfruchtbare Beginnen der Ästhetiker fliehend und
gerät in das Land des Abscheus. Wir suchten das Land der Schön-
heit im Lande der Wollust, ächzten die Elenden, und liegen nun
hier. — Kailias verläßt die Verirrten und wird von freundlicheren
Tälern empfangen. Er besucht den Garten der Unschuld und badet
in dessen klarem See, der vom Bild der Göttin der Gesundheit
betreut wird.
Gewiß eine bedeutende und beherzigenswerte Allegorie, daß die
Gesundheit der Seele zum Empfangen der Schönheit unerläßlich sei.
Erst nach dem mystischen Reinigungsbad ist es Kallias gegönnt,
Dichter und Künstler, Weltweise und Forscher in ihrem eigenen
heiligen Kreis zu besuchen. Sie üben das Geheimnis jeder ihrer

*) Taschenbuch 1803.
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