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XXXVII

Die ästhetische Wertung des Menschen durch den Denkenden
hat im Lauf der Jahrhunderte merkwürdige Umwertungen er-
fahren.
Im Altertum eine stolze, aber gelassene Schätzung auserlesenen
Menschenmaterials, selbstverständliche Verachtung dem Fremden und
dem Sklaven sowie jedem zu höherer Weisheit Untauglichen gegen-
über, also auch den meisten Frauen.
Völlige Verzweiflung am irdischen Menschen tritt ein zur Zeit fana-
tisch asketischen Christentums, Grauen vor der dem Leib inne-
wohnenden Sünde.
Allmählich wird der Abscheu vor dem eigenen Leib überwunden.
Die Renaissance wertet körperliche Schönheit so hoch und höher,
wie es im Altertum geschah. Wird auch grundsätzlich an der Theorie
der Erbsünde festgehalten, man bewundert doch das Heldische mensch-
lichen Vermögens.
Immer höher steigt diese Bewertung mit der wachsenden Herrschaft
über das Wissen und mit der erwachenden Industrie.
Indessen verblaßt die Gottgläubigkeit, um der frommen Menschen-
gläubigkeit zu weichen. Die Macht der Tugend wird unbedingt
verehrt. Eine Überzeugung, daß unrichtig gebaute Staatsgebilde
allein den Menschen hindern, seine natürliche Vollkommenheit zu
erreichen, bricht sich gewaltig Bahn. Der Fanatismus, den früher
Glauben an übersinnliche Wunder begleitete, ist jetzt mit sinnlichen
Wundern beschäftigt, die der Mensch vollbringen kann, soll und
muß.
Andacht vor der Schönheit und Schönheitsmöglichkeit des Menschen
überhaupt, ja aller Menschen ohne Unterschied und Ausnahme be-
herrscht die Welt. Philosophen und Dichter unternehmen förmliche
Entdeckungsreisen nach dem Menschen. Die Sucht nach Persönlich-
keit erfüllt alle geselligen Formen, und mit edler Schwärmerei werden
die schönen Seelen begrüßt. Kant beugt sein erhabenes Herz vor
der Gesetzlichkeit in der menschlichen Brust, Herder ruft: Dem
Menschen singt mein Lied!, und Schiller feiert mit priesterlicher
Ergriffenheit den Menschen an der Jahrhundertneige, der so schön
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