reißende Anarchisten, automatisch wirkende Regierungen) zur Em-
pörung zwingt.
In ihm lösen sich die inneren Zweifel, denn er bringt den Triumph
jenen großen Seelen, die das Leid der Lebensfrage cui bono
überwinden und das Ziel erkennen: neue Schönheitswerte zu
schaffen.
Wer sich bewußt ist, daß die Größe, vielleicht die Notwendigkeit
der Menschheit in des Weltalls Götterordnung auf ihrer künstleri-
schen Entfaltung beruht, fühlt auch die Pflicht, alles zu entfernen,
was die Lösung dieser Aufgabe erschwert.
Das Schönheitsgefühl ruft einen Akkord hervor, den manche Mora-
listen, Staatsbildner und Religionsstifter für unmöglich hielten. Es
läßt Geist und Sinnlichkeit, Vergängliches und Ewiges zusammen-
klingen und verbindet die Form mit dem Wesen der Dinge.
Gerade die Tugendhaften verderben uns den Geschmack an der
Tugend, meinte Voltaire in Hinblick auf die eigenwilligen oder
überspannten Tugendbolde seiner Tage. Im Reich der ästhetischen
Tugend ist es anders. Sie stellt wohl Forderungen an das eigene
Herz, aber sie bindet weder Verstand noch Geist und ist frei von
jeder Enge, weil sie frei von Dünkel ist, ihre Opfer drücken uns
nicht, denn sie sind mit Anmut und Freude dargebracht.
Unablässig arbeitet das Schönheitsgefühl an der Vergöttlichung des
Menschen. Es führt im Schillerschen Sinn zur Geisterwürde durch
die schöne Bildkraft*). Anmut und Würde trieben (nach des Dichters
Worten) den Menschen aus dumpfer Höhle an das Licht, er richtet
sich aus den Fesseln der Tierheit empor
Und der erhabne Fremdling der Gedanke
Sprang aus dem staunenden Gehirn*).
XL
Der Kampf des ästhetischen Sinnes mit dem enggedachten Moral-
begriff kannte in Jahrtausenden niemals Frieden, wenn er auch
unaufhörlich die Formen wechselte.
Nach langem Schwanken zwischen Freude an schöner Dichtung und
christlicher Asketenpflicht verbrannte der heilige Hieronymus seine
') Aus dem Gedicht Die Künstler.
175
pörung zwingt.
In ihm lösen sich die inneren Zweifel, denn er bringt den Triumph
jenen großen Seelen, die das Leid der Lebensfrage cui bono
überwinden und das Ziel erkennen: neue Schönheitswerte zu
schaffen.
Wer sich bewußt ist, daß die Größe, vielleicht die Notwendigkeit
der Menschheit in des Weltalls Götterordnung auf ihrer künstleri-
schen Entfaltung beruht, fühlt auch die Pflicht, alles zu entfernen,
was die Lösung dieser Aufgabe erschwert.
Das Schönheitsgefühl ruft einen Akkord hervor, den manche Mora-
listen, Staatsbildner und Religionsstifter für unmöglich hielten. Es
läßt Geist und Sinnlichkeit, Vergängliches und Ewiges zusammen-
klingen und verbindet die Form mit dem Wesen der Dinge.
Gerade die Tugendhaften verderben uns den Geschmack an der
Tugend, meinte Voltaire in Hinblick auf die eigenwilligen oder
überspannten Tugendbolde seiner Tage. Im Reich der ästhetischen
Tugend ist es anders. Sie stellt wohl Forderungen an das eigene
Herz, aber sie bindet weder Verstand noch Geist und ist frei von
jeder Enge, weil sie frei von Dünkel ist, ihre Opfer drücken uns
nicht, denn sie sind mit Anmut und Freude dargebracht.
Unablässig arbeitet das Schönheitsgefühl an der Vergöttlichung des
Menschen. Es führt im Schillerschen Sinn zur Geisterwürde durch
die schöne Bildkraft*). Anmut und Würde trieben (nach des Dichters
Worten) den Menschen aus dumpfer Höhle an das Licht, er richtet
sich aus den Fesseln der Tierheit empor
Und der erhabne Fremdling der Gedanke
Sprang aus dem staunenden Gehirn*).
XL
Der Kampf des ästhetischen Sinnes mit dem enggedachten Moral-
begriff kannte in Jahrtausenden niemals Frieden, wenn er auch
unaufhörlich die Formen wechselte.
Nach langem Schwanken zwischen Freude an schöner Dichtung und
christlicher Asketenpflicht verbrannte der heilige Hieronymus seine
') Aus dem Gedicht Die Künstler.
175