Das Schöne wird nicht erkannt, es muß empfunden und hervor-
gebracht werden*).
Es ist seltsam, daß man Schiller einen falschen Idealismus vorwarf,
obwohl gerade er folgerichtig trachtete, der Philosophie wirklichen
Boden zu gewinnen und die Denkarbeit für das Leben nützlich zu
machen. Durch strenge Selbstzucht und historische Betrachtung
rang er danach.
Dadurch gelangte er zu seiner philosophischen Entdeckung, die lange
ungewürdigt, weil unverstanden blieb. Diese Entdeckung betrifft
das eigentliche Wesen des Menschen, die Geheimnisse seiner Psycho-
logie, und sollte an den teils kindischen, teils eigensinnigen Vor-
urteilen rütteln.
Wenn wir die Traumstaaten bedeutender Denker überblicken, so
ist der auffallendste Eindrude derjenige einer großen Enge, eines
unerträglichen Zwanges trotz des scheinbar erfüllten Ideals gesunder
Maßregeln für die Hygiene des gesamten Staatsbetriebs. Diese
Glückseligkeitssysteme, so viel Anregendes sie enthalten, leiden an
dem Fehler, der die französische Revolution in Schillers Augen zu
Fall brachte. Die Idealstaaten sind nicht mit wirklichen Menschen
bevölkert, sondern mit konstruierten Geschöpfen, die es niemals
gab und niemals geben kann.
Schiller erkannte dies und erklärte, warum unter der ausschließ-
lichen Herrschaft der Göttin Vernunft die Menschen ganz besonders
unvernünftig werden. Die meisten Moral- und Religionssysteme
glauben ihr Ziel zu erreichen, indem sie dem Moraltrieb die Auf-
gabe stellen, den sinnlichen zu unterdrücken. Der sinnliche Trieb
rächt sich aber, indem er sich nur scheinbar fügt, mit den Attri-
buten der Vernunft schmückt und zu furchtbarer Selbsttäuschung
führt.
Unter dem Gesetz der Vernunft wie unter dem Gesetz des sinnlichen
Triebes bleibt uns keine Wahl. Wo keine Wahl ist, ist keine Frei-
heit. Wo keine Freiheit, ist keine Entwicklung möglich. Die Not-
wendigkeit einer Entwicklung beweist die Notwendigkeit einer Frei-
*) Vergl. meine Vorrede in Schillers Ästhetische Erziehung bei Eugen
Diederichs 1905.
Schönheit 12
177
gebracht werden*).
Es ist seltsam, daß man Schiller einen falschen Idealismus vorwarf,
obwohl gerade er folgerichtig trachtete, der Philosophie wirklichen
Boden zu gewinnen und die Denkarbeit für das Leben nützlich zu
machen. Durch strenge Selbstzucht und historische Betrachtung
rang er danach.
Dadurch gelangte er zu seiner philosophischen Entdeckung, die lange
ungewürdigt, weil unverstanden blieb. Diese Entdeckung betrifft
das eigentliche Wesen des Menschen, die Geheimnisse seiner Psycho-
logie, und sollte an den teils kindischen, teils eigensinnigen Vor-
urteilen rütteln.
Wenn wir die Traumstaaten bedeutender Denker überblicken, so
ist der auffallendste Eindrude derjenige einer großen Enge, eines
unerträglichen Zwanges trotz des scheinbar erfüllten Ideals gesunder
Maßregeln für die Hygiene des gesamten Staatsbetriebs. Diese
Glückseligkeitssysteme, so viel Anregendes sie enthalten, leiden an
dem Fehler, der die französische Revolution in Schillers Augen zu
Fall brachte. Die Idealstaaten sind nicht mit wirklichen Menschen
bevölkert, sondern mit konstruierten Geschöpfen, die es niemals
gab und niemals geben kann.
Schiller erkannte dies und erklärte, warum unter der ausschließ-
lichen Herrschaft der Göttin Vernunft die Menschen ganz besonders
unvernünftig werden. Die meisten Moral- und Religionssysteme
glauben ihr Ziel zu erreichen, indem sie dem Moraltrieb die Auf-
gabe stellen, den sinnlichen zu unterdrücken. Der sinnliche Trieb
rächt sich aber, indem er sich nur scheinbar fügt, mit den Attri-
buten der Vernunft schmückt und zu furchtbarer Selbsttäuschung
führt.
Unter dem Gesetz der Vernunft wie unter dem Gesetz des sinnlichen
Triebes bleibt uns keine Wahl. Wo keine Wahl ist, ist keine Frei-
heit. Wo keine Freiheit, ist keine Entwicklung möglich. Die Not-
wendigkeit einer Entwicklung beweist die Notwendigkeit einer Frei-
*) Vergl. meine Vorrede in Schillers Ästhetische Erziehung bei Eugen
Diederichs 1905.
Schönheit 12
177