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Aber sie hätten nicht also wirken können, wenn solche Huldigung
sie nicht ermutigt hätte, wenn ihre großen Zeitgenossen ihnen mit
Rauheit oder Verachtung begegnet wären. Die schöne Vollendung
in klassischer Zeit lag in diesem Entgegenkommen begründet.
Leise erinnert das Ideal, das die großen Freunde in Deutschlands
zweiter schöner Zeit aufstellten, an das Ritterideal der ersten schönen
Zeit, der mittelalterlichen Blüte. Es enthält Preis der Freundschaft,
Preis den Frauen, Preis dem Lied. Es enthält und erweitert das
Europäische, das im Ideal des Rittertums lag.
Die einstige mystische Brüderschaft derer, die den Ritterschlag be-
kommen, soll ersetzt werden durch eine mystische Brüderschaft aller
vornehm Denkenden, die ihren Ritterschlag, ihre Neugeburt der
Schönheit, der sie sich hingegeben, zu danken haben.
Vornehmlich sollen die Berufsgenossen also mystisch verbunden sein,
vorbildlich allen anderen Berufen sollen es die höchsten Berufe sein,
die Gelehrten und Künstler. Der wahre weltbürgerliche Sinn kann
niemals reiner als in Kunst und Wissenschaft stattfinden.
Diesem Ideale treu zeigte Goethe noch im Alter das wärmste Inter-
esse für die Literaturen aller Sprachen, wie seine Rezensionen von
italienischen wie französischen, englischen und spanischen Werken
zeigen. Auch mit neugriechischen und serbischen, persischen und
chinesischen Liedern beschäftigte er sich liebevoll.
Goethe warnt vor allen Gefahren des Nationaldünkels und beson-
ders des erkältenden Sprachhochmuts, denn um ein stets geschmück-
ter Tempel der Schönheit zu sein, muß das Herz vor allem warm
bleiben.
Darum mögen geistreiche Jünglinge angefeuert werden, sich mehrerer
Sprachen als beliebiger Lebenswerkzeuge zu bemächtigen.
Die Sprache als erstes und vornehmstes Kunstvermögen des Men-
schen ist sein erstes und vornehmstes Lebenswerkzeug im Seelen-
leben und je mehr, je verschiedeneres Werkzeug beherrscht wird,
desto tüchtiger ist der Arbeiter im Dienst der Schönheit.
Goethes Denken war, wie er es selbst nannte, ein anschauend
Gegenständliches. Er suchte im bunten Gewühl der Einzelgestalten
in der Natur die verborgene Harmonie, im Weltganzen das Ge-
heimnisvolle aber gesetzmäßige Walten einer schöpferischen Idee.
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