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XLIV

Die Klassiker hatten den Weg gewiesen zum ästhetischen Himmel-
reich und die Notwendigkeit des Schönen in der Einheit von
Mensch, Kunst und Natur mit großer Kraft zu beweisen gesucht.
Aber draußen in der Welt, die von tiefgehenden Umwälzungen in
jeder Richtung durchwühlt war, konnte die ideale Einheit nicht be-
griffen werden. Zerrissenheit entstand und eine Kluft tat sich auf,
die heute noch nicht überbrückt ist, der Begriff der Schönheit
blieb schwankend.
Unheimlich und allumfassend kam nach der Revolution ein neuer
Herrscher zur Macht, der von nun an in allen Ländern Europas ein
festes und bleibendes Prinzip darstellte, besonders in Deutschland,
England und Frankreich seine Gewalt tyrannisch ausübte. Er hob
sein Haupt überragend empor aus den Wassern der revolutionären
Sintflut.
Es war der Philister.
Auch er besaß ein dumpfgefühltes, ästhetisches Ideal, dem er mit
Fanatismus huldigte.
Dieses Ideal war der pygmäenhaft zusammengeschrumpfte Begriff
des honnete komme, des gentleman, aus dem sich der korrekte Mann
entwickelte. Zu einem Sklaventum gewisser Konventionen wurde
die ästhetische Tugend vornehmer Gesinnung.
Wie einst der Wahlspruch noblesse oblige, die mittelalterliche Milde
oder Courtoisie, dem Edelmann im Blut stak und mit ihm eins war,
so verschmolz das Ideal engster Korrektheit mit dem Wesen des
philiströsen Ehrenmannes, dazu gehörte oft barscher Ton, Unver-
bindlichkeit der Manieren und des Herzens. Der Philister war im-
stand, jede Zartheit plump zu zertreten, ja er tat sich etwas darauf
zugute. Wenn einst der honnete komme auch seine Fehler, etwa
den Leichtsinn Frauen gegenüber, liebenswürdig zu machen verstand,
so wußte nun der Philister auch seine Tugenden im Namen der
Grundsätze unliebenswürdig zu machen.
Im übrigen hinderten ihn diese nicht immer, einen tadelnswerten
Lebenswandel zu führen. Es geschah nur ohne Anmut und es fügte
sich möglicherweise, daß er etwa in verbotenem Schäferstündchen
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