vertilgbarer Sehnsucht offenbart sich das Kunstschöne als Trost in
schweren Tagen und als geheimes Band von Mensch zu Mensch.
Die Bewohner jener Höhlen und Gräben, die oft rasch zu Gräbern
wurden, schmücken sie, warten einiger Blumen, fertigen Zeichnungen
und von Feind zu Feind, der Sage nach sogar manchmal im Duett
klingt die Flöte, die Geige, die muntere Harmonika. In den Kranken-
betten lauschen sie auf, wenn einer Gedichte spricht, wenn Gesang
und Musik ertönt, und vergessen ihre Schmerzen. Am seltsamsten,
vielleicht am unwiderstehlichsten offenbart sich die Sehnsucht in
jenen Stätten des Leids, den großen Lagern, wo über ganz Europa
und Asien verstreut die ihrer Heimat Entrissenen die Bitterkeit der
Fremde in Gefangenschaft atmen. In diesen schrecklichen, menschen-
unwürdigen Verhältnissen ist der nächste und einzige Trost das,
was aus dumpfem Vegetieren, aus dem rohen Nummerndasein er-
hebt, die Übung irgend einer bescheidenen Kunstfertigkeit. Die
Einen schnitzen, die Anderen hämmern etwas zurecht, zeichnen,
malen, pusseln mit denkbar primitivem Material und mitten in der
Demütigung entsteht ein neuer Stolz. Der kleine Kunstgegenstand
wird herumgezeigt, um den geschickten Künstler sammeln sich neu-
gierig bewundernd die eigenen Kameraden, aber auch die Wächter
und leise webt das Schönheitsempfinden zwischen den Fremdesten
Sympathie.
Der Spieltrieb, dem sie folgen, löst sanft das Kindliche aus, das
in jedem Herzen liegt. Man sieht sich in die Augen und scheint
sich bekannt, wie Kinder zutraulich werden im Zeichen gemeinsamer
Bewunderung.
Einer lauscht dem Lied des andern, Instrumente tauchen auf, ein
Orchester entsteht. Die Stätte des Leids kennt bald ein Haus der
Harmonie, ein Theater wird eröffnet, seine freundlichen Wunder
wirken. Der Bildhauer tut seine Werkstatt auf, Denkmale entstehen
für die Gefallenen — Freund und Feind. Mit stillem Walten hat
die verfolgte, gesteinigte Schönheit verzeihend ihre Rückkehr voll-
zogen, hat von unserem Menschentum gerettet, was noch zu retten
war, und die großen Seelen gerechtfertigt, die im Lauf der Jahr-
hunderte mahnten, immer wieder mahnten, ihr als der mütterlichen
Freundin kindlich liebend zu vertrauen.
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schweren Tagen und als geheimes Band von Mensch zu Mensch.
Die Bewohner jener Höhlen und Gräben, die oft rasch zu Gräbern
wurden, schmücken sie, warten einiger Blumen, fertigen Zeichnungen
und von Feind zu Feind, der Sage nach sogar manchmal im Duett
klingt die Flöte, die Geige, die muntere Harmonika. In den Kranken-
betten lauschen sie auf, wenn einer Gedichte spricht, wenn Gesang
und Musik ertönt, und vergessen ihre Schmerzen. Am seltsamsten,
vielleicht am unwiderstehlichsten offenbart sich die Sehnsucht in
jenen Stätten des Leids, den großen Lagern, wo über ganz Europa
und Asien verstreut die ihrer Heimat Entrissenen die Bitterkeit der
Fremde in Gefangenschaft atmen. In diesen schrecklichen, menschen-
unwürdigen Verhältnissen ist der nächste und einzige Trost das,
was aus dumpfem Vegetieren, aus dem rohen Nummerndasein er-
hebt, die Übung irgend einer bescheidenen Kunstfertigkeit. Die
Einen schnitzen, die Anderen hämmern etwas zurecht, zeichnen,
malen, pusseln mit denkbar primitivem Material und mitten in der
Demütigung entsteht ein neuer Stolz. Der kleine Kunstgegenstand
wird herumgezeigt, um den geschickten Künstler sammeln sich neu-
gierig bewundernd die eigenen Kameraden, aber auch die Wächter
und leise webt das Schönheitsempfinden zwischen den Fremdesten
Sympathie.
Der Spieltrieb, dem sie folgen, löst sanft das Kindliche aus, das
in jedem Herzen liegt. Man sieht sich in die Augen und scheint
sich bekannt, wie Kinder zutraulich werden im Zeichen gemeinsamer
Bewunderung.
Einer lauscht dem Lied des andern, Instrumente tauchen auf, ein
Orchester entsteht. Die Stätte des Leids kennt bald ein Haus der
Harmonie, ein Theater wird eröffnet, seine freundlichen Wunder
wirken. Der Bildhauer tut seine Werkstatt auf, Denkmale entstehen
für die Gefallenen — Freund und Feind. Mit stillem Walten hat
die verfolgte, gesteinigte Schönheit verzeihend ihre Rückkehr voll-
zogen, hat von unserem Menschentum gerettet, was noch zu retten
war, und die großen Seelen gerechtfertigt, die im Lauf der Jahr-
hunderte mahnten, immer wieder mahnten, ihr als der mütterlichen
Freundin kindlich liebend zu vertrauen.
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