URCHRISTENTUM
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wie du erhörtest die drei Knaben aus dem Feuerofen, . . . den Daniel aus der
Löwengrube" usw., oder „der du Tote erweckst, Blinde erleuchtest, den Tauben
Gehör, den Stummen die Sprache, den Lahmen das Gehen, den Aussätzigen Ge-
sundheit verliehen hast, ebenso gewähre es auch deinen Dienern." Und ent-
sprechend finden wir auf plastischen oder gemalten Denkmälern (Tafeln 23,25b, 52)
die Folge jener Szenen als bestimmte immer wiederkehrendeTypen im Nebenein-
ander. Wenn in solchen Fällen die gestaltlichen und formalen Darstellungsmittel
noch so antik sein mögen, so ist es nicht der Geist, aus dem diese Folgen geschaffen
wurden. Die Bilder sind nicht Darstellungen, welche die Geschichte des Lazarus,
des Jonas, des Daniel, der Wunder zu erzählen haben, wie etwa antike Reliefs
die Taten der Heroen schildern, vielmehr ist die scheinbar unzusammenhängende
Folge durch die Worte der Gebete bestimmt, die einzelnen Bilder haben nicht
den Wert einer Handlung, sondern den des Gleichnisses, und die Summe der
Gleichnisse ist für das Geheimnis der Erlösung gesetzt. Die Worte des Gebetes
sind wohl durch bildnerische Mittel ersetzt, aber nicht Handlung geworden.
Diese feierliche Formelhaftigkeit, diese unpersönliche, typisch-symbolische Bedeu-
tung ist weit entfernt von der Bewußtheit zivilisatorischer Kunstübung, ist einem
Geiste entsprossen, in dem die naive Kraft des Volkstümlichen noch fast unge-
brochen zu fühlen ist. Darin ist diese Kunst, mag sie auch für das Auge erst
im Gewände des Westens faßbar werden, durchaus östlich.
Als Feindin darstellerischer Veräußerlichung erscheint also die christliche
Kunst des Ostens als bildende Kunst zunächst nicht faßbar. Wo aber das
Wort zur Schrift wird, tritt es für das Auge in Erscheinung. Je mehr Schrift
Allgemeingut ist, desto mehr verliert sie den Charakter des Geheimnisses, wird
entheiligt. Im Orient ist die Schriftgelehrsamkeit Vorrecht weniger, der Priester,
der Gelehrten. Deshalb ist sie dem Volke ehrwürdig und heilig, ist sie dem
Kundigen als ein nur ihm verständliches Zeichen für den Sinn, ein Höheres, das
ihn von den andern unterscheidet. Aber nicht als bloßer Zweck der Mitteilung,
nicht als handwerkliche Beherrschung von Zeichen ist sie ihm Höheres, als
Bewahrerin der Überlieferung, als Trägerin des göttlichen Wortes ist sie auch
dem Kundigen heilig. Die Buchstaben sind nicht bloß Zeichen für Laute und
Worte, gleichgültig, welcher Sinn hinter ihnen stecke, der Sinn selbst prägt sich
in ihrem Bilde. Das ist die besondere Eigenart rein orientalischen Schrifttums
überhaupt. Sind doch seine Zeichen selbst nicht unveränderliche, erstarrte
Formeln, sondern wechseln in ihrer Gestalt je nach ihrer Stellung im Worte; ihre
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wie du erhörtest die drei Knaben aus dem Feuerofen, . . . den Daniel aus der
Löwengrube" usw., oder „der du Tote erweckst, Blinde erleuchtest, den Tauben
Gehör, den Stummen die Sprache, den Lahmen das Gehen, den Aussätzigen Ge-
sundheit verliehen hast, ebenso gewähre es auch deinen Dienern." Und ent-
sprechend finden wir auf plastischen oder gemalten Denkmälern (Tafeln 23,25b, 52)
die Folge jener Szenen als bestimmte immer wiederkehrendeTypen im Nebenein-
ander. Wenn in solchen Fällen die gestaltlichen und formalen Darstellungsmittel
noch so antik sein mögen, so ist es nicht der Geist, aus dem diese Folgen geschaffen
wurden. Die Bilder sind nicht Darstellungen, welche die Geschichte des Lazarus,
des Jonas, des Daniel, der Wunder zu erzählen haben, wie etwa antike Reliefs
die Taten der Heroen schildern, vielmehr ist die scheinbar unzusammenhängende
Folge durch die Worte der Gebete bestimmt, die einzelnen Bilder haben nicht
den Wert einer Handlung, sondern den des Gleichnisses, und die Summe der
Gleichnisse ist für das Geheimnis der Erlösung gesetzt. Die Worte des Gebetes
sind wohl durch bildnerische Mittel ersetzt, aber nicht Handlung geworden.
Diese feierliche Formelhaftigkeit, diese unpersönliche, typisch-symbolische Bedeu-
tung ist weit entfernt von der Bewußtheit zivilisatorischer Kunstübung, ist einem
Geiste entsprossen, in dem die naive Kraft des Volkstümlichen noch fast unge-
brochen zu fühlen ist. Darin ist diese Kunst, mag sie auch für das Auge erst
im Gewände des Westens faßbar werden, durchaus östlich.
Als Feindin darstellerischer Veräußerlichung erscheint also die christliche
Kunst des Ostens als bildende Kunst zunächst nicht faßbar. Wo aber das
Wort zur Schrift wird, tritt es für das Auge in Erscheinung. Je mehr Schrift
Allgemeingut ist, desto mehr verliert sie den Charakter des Geheimnisses, wird
entheiligt. Im Orient ist die Schriftgelehrsamkeit Vorrecht weniger, der Priester,
der Gelehrten. Deshalb ist sie dem Volke ehrwürdig und heilig, ist sie dem
Kundigen als ein nur ihm verständliches Zeichen für den Sinn, ein Höheres, das
ihn von den andern unterscheidet. Aber nicht als bloßer Zweck der Mitteilung,
nicht als handwerkliche Beherrschung von Zeichen ist sie ihm Höheres, als
Bewahrerin der Überlieferung, als Trägerin des göttlichen Wortes ist sie auch
dem Kundigen heilig. Die Buchstaben sind nicht bloß Zeichen für Laute und
Worte, gleichgültig, welcher Sinn hinter ihnen stecke, der Sinn selbst prägt sich
in ihrem Bilde. Das ist die besondere Eigenart rein orientalischen Schrifttums
überhaupt. Sind doch seine Zeichen selbst nicht unveränderliche, erstarrte
Formeln, sondern wechseln in ihrer Gestalt je nach ihrer Stellung im Worte; ihre