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MACHTCHRISTENTUM

Gestalt westlichen Vorbildern entnommen wurde, so wird hier die Paradieses-
landschaft mit jenen naturfernen raumlosen Baum- und Rankentypen aufgebaut,
die bereits in altchristlicher Zeit aus dem iranischen Osten nach dem Westen
vorgedrungen und hellenisiert worden sind (vgl. S. 7 f), und die während des
Bilderstreites mit dem Vorstoß des Islam weitgehende Verbreitung gefunden
haben (vgl. S. 33 f). Dieses Paradies ist kein Garten irdischer Sinnlichkeit, kein
Abbild einer greifbaren Wirklichkeit, aber auf dieser mit wesenlosen Bodenkurven,
Pflanzen, Gewässern und Menschenschemen überreich gefüllten Fläche lassen die
zu Akkorden und Melodien zusammengeschlossenen Farben-, Linien- und Ton-
werte den sinnlichen Zauber des himmlischen Gartens zu einem mystischen Erlebnis
höherer Ordnungwerden. Das ist kein Primitivismus, wo Anatomie und vegetabiles
Wachstum zum gebundenen Formenrhythmus wird. Man beachte, wie diese schein-
bare Zerrissenheit der Körper in das farbige Geflimmer des Gesamtbildes einge-
webt ist und wie im oberen Teile durch die taktmäßig verteilten Vertikalen, im
unteren durch das Gewoge der vier Paradiesströme, das Geflacker der spitzovalen
Baumkronen und das Vorstoßen der drei Gestalten in der „ Ausweisung" deutlich
trennbare Rhythmen entstehen, die wie eine anschwellende Melodie ablesbar sind.
Aber auch diese Melodie ist feierlich gebunden, sie verlangt vom Beschauer nicht
das dramatische persönliche sich Hineinversetzen, sondern das objektive Zurück-
treten vor der Erhabenheit der in epischer Folge erzählten Handlung. Diese aus-
geglichene Ruhe, bei der die Persönlichkeit des Künstlers fast ganz hinter dem
Werke zurücktritt, sich nicht über die Aufgabe stellen will, sondern in deren
subtiler Ausführung und Einfühlung in den Stoff die größte Befriedigung zu
finden scheint, kann wahrlich höher gewertet werden als alle Dramatik, mit der
sich der Einzelne erkühnt, das Religiöse selbst zu gestalten, anstatt sich von
ihm leiten zu lassen.
Auch in der Monumentalkunst der Mosaiken und Fresken liegt gegenüber
der gegenständlichen und gestaltlichen Gebundenheit das Schöpferische in der
formalen Einfühlung in das Gegebene. Wie in den Miniaturen (etwa in dem
führenden Knaben in Tafel 69), so brechen freilich auch hier vereinzelt durch die
feierliche Gebundenheit theologischer Vorschriften genrehaft-naturalistischeZüge
durch, die von einem gebändigten Fortleben westlichen Geistes unter staats-
kirchlicher Leitung Zeugnis geben. Die bei geringer Abwandlung gleichartige
Wiederkehr der Bildtypen in den griechischen Kirchen des 10. und 11. Jahr-
hunderts, in Hosios Lukas, in der Koimesiskirche von Nicäa, der Nea Moni auf
 
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