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Deutscher Altphilologenverband / Landesverband Rheinland-Pfalz [Editor]; Loos, Hartmut [Oth.]; Glücklich, Hans-Joachim [Honoree]
Athlon: Festschrift für Hans-Joachim Glücklich — Speyer: Landesverband Rheinland-Pfalz im Deutschen Altphilologenverband, 2005

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.53136#0050
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Rainer Nickel
Horaz - für eine Kultur der Verweigerung

Ähnliches bietet der Garten des Alkinoos (Od. 7.112) oder die Landschaft um die Grot-
te der Kalypso (Od. 5.63).
Im Hellenismus wird das Dichten unter Bäumen zum poetischen Motiv (z.B. in der
Hirtendichtung des Theokrit). Vergil kultiviert die Ideallandschaft in seiner bukoli-
schen Dichtung, aber auch in der Aeneis (6.179ff.; 6.638ff.).
Zu den Typen der Ideallandschaft gehören der Mischwald und der locus amoenus mit
Blumenwiese. Ovid greift das Motiv des „idealen Mischwalds“ auf. Spätere Dichter
übernehmen es. Der locus amoenus ist „ein schöner, beschatteter Naturausschnitt. Sein
Minimum an Ausstattung besteht aus einem Baum (oder mehreren Bäumen) einer Wie-
se und einem Quell oder Bach. Hinzutreten können Vogelgesang und Blumen. Die
reichste Ausführung fügt noch Windhauch hinzu“ (Curtius, 202).
Der locus amoenus ist ein Gefäß für viele Inhalte.16 Bei Horaz ist das Preisen des locus
amoenus eine Form oder ein Topos der Verweigerung nicht nur des Großstadtlebens,
sondern auch der Maßlosigkeit und des Überflüssigen.
Die Lust am locus amoenus ist aber nicht nur eine Empfindung des Lesers literarischer
Texte. Erstaunlich ist vielmehr, dass ein vergleichbares Rezeptionsverhalten auch beim
Betrachten gemalter Bilder zu beobachten ist. Vor einigen Jahren starteten zwei russi-
sche Maler in den USA den Versuch, dem Ideenmangel und der professionelle Ver-
kümmerung der Malerei durch eine demoskopische Untersuchung entgegenzuwirken
und sich neue Anstöße aus dem „gemeinen“ Volk zu holen.17 Die Künstler gaben ei-
nem demoskopischen Institut den Auftrag herauszufinden, welche die meistgeliebten
und die meistgehassten Bilder der Amerikaner sind. Sie wollten die gewonnenen In-
formationen in adäquate Gemälde umsetzen. Aus den repräsentativen Antworten von
1001 Personen verschiedenen Alters, verschiedener Schichten und Ethnien auf 110
breitgefächerte Fragen visualisierten die beiden Künstler die am meisten und die am
wenigsten gewünschten Ansichten. Zu ihrer Verblüffung mussten sie aber nur zwei
Bilder malen: „Sämtliche sozialen Gruppen des amerikanischen Schmelztiegels, Mu-
seumsgänger wie Bildungsignoranten, bevorzugten und missbilligten mehrheitlich das
Gleiche: als Lieblingsbild eine parkähnliche Landschaft mit friedlichem Wild und
Menschen am ruhigen Gewässer unter weitem blauen Himmel. Als meistgehasstes Bild
einen abstrakten Haufen spitziger Dreiecksformen in Senfgelb, Rosa, Grau und Oran-
ge, viereckig umfasst von einem schwarzen Rahmen“ (ZEIT-Magazin, 21).
Die Untersuchung wurde anschließend auf weitere Länder ausgedehnt: Island, Finn-
land, Frankreich, Dänemark, Italien, Portugal, Türkei, Kenia, Deutschland, Niederlan-
de, China. Die Ergebnisse unterschieden sich nicht von den amerikanischen. Überall
war die wasserreiche Grünlandschaft, die savannenähnliche Parklandschaft gefragt,
ausgestattet mit Grasboden, alten Einzelbäumen, unterschiedlich hohen Baumgruppen
und Gebüsch. Das ist nach Auskunft der Evolutionsbiologen die Landschaft, in der der
16 Vgl. auch die oben vorgetragenen Überlegungen zum c. 3.13 im Abschnitt "Verweigerung der
Vergänglichkeit".
17 Bericht darüber im ZEIT-Magazin Nr. 35 vom 5. September 1997.
 
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