Deutung
Der Pavillon ist ein beliebtes Motiv für den Abschluß des Kanalendes. Der Hof-
architekt Pierre le Muet gibt im zweiten Teile seines Werkes „Maniere de bastir", das
1681 in Paris im Drucke erschien, in Tafel 21 Grundriß und Ansichten „de la teste
du Canal" des Schlosses zu Tanlay. Selbstverständlich hat der Antwerpener Wirker van
der Goten, dem unser Bildteppich (Abb. 165) seine Entstehung verdankt, nicht Tanley
imitiert, Der Patronenmaler kombinierte seine Szenerie für die Geschichte Apolls
nach Plänen und Ansichten bekannter französischer, wohl auch niederländischer Schloß-
anlagen. Der Nachweis, daß mehrfach Architektur- und Gartenwerke mittelbar als
Vorlagen für Wandteppiche dienten, läßt sich unschwer führen. Insbesondere scheinen
die beiden Bände der „Distribution des maisons de plaisance et de la decoration des
6difices en gen^ral" (1737) des Architekten Jacques-Francois Blondel und sein großes
Sammelwerk, das die Grundrisse, Ansichten und Gartenanlagen berühmter französischer
Schlösser bringt (226), mit Vorliebe benutzt worden zu sein. Nicht ganz so verbreitet
waren die Stiche des J. Silvestre, Le Pautre, J. Rigaud, Perelle, N. Langlois und anderer
zeitgenössischer Architekten und Gartenkünstler (227).
Die deutschen Stich werke des 17. Jahrhunderts, in erster Linie die Arbeiten Furtten-
bachs, halten im wesentlichen noch an dem System des Renaissancegartens fest; fast
unvermittelt treten die französischen Anlagen Le Nötres in die Erscheinung. Die Ur-
sachen hegen zum guten Teil in den Wirren und Schäden des Dreißigjährigen Krieges
und seinen Folgeerscheinungen, die eine selbständige Verarbeitung der neu importierten
italienischen und französischen Gedanken nur in beschränktem Maße zuließen. Einen
guten Uberblick über den Ausbau reicher Schloßgärten geben verschiedene Stiche aus
P. Deckers „Fürstlicher Baumeister". Das 18. Jahrhundert macht weit ausgiebiger von
Gartenmotiven Gebrauch wie die voraufgegangene Epoche. Es gibt wenig Brüsseler
Teppiche der Spätzeit, die ihre mythologischen Szenen nicht in Wald oder Garten
verlegen. Zu den schönsten Brüsseler Folgen zählen die Jahreszeitenteppiche. Früh-
ling, Sommer und Herbst werden durch allegorische Gestalten charakterisiert und in
den französischen Garten versetzt. Der Winter kann sich naturgemäß dieses be-
quemen und überaus dekorativen Hilfsmittels nicht ohne weiteres bedienen. Ein Ver-
gleich der Abb. 166 und 167 zeigt, wie wenig glücklich der „Winter" gegenüber dem
„Sommer" gelöst ist.
In den französischen Manufakturen, in erster Linie in Beauvais und Aubusson,
werden die Stickereimuster der „parterres de broderie" in ausgiebigster Weise für
die Bildteppichwirkerei herangezogen. Auch die Gobelins benutzen nicht selten das
eigenartige Motiv. J. Guiffrey bringt in dem Sammelwerk „Les modeles et le Musöe
des Gobelins", Band I, Tafel 22 die Wiedergabe eines Teppichentwurfes von Maurice
Jacques, der aus einem fein detaillierten Parterre, das durch Tiere und Schmuckvasen
belebt wird, einen architektonisch-figürlichen Rahmen aufsteigen läßt; das Mittelfeld
schmückt eine Plakette „Venus auf den Wassern" (228).
Ein besonderer Hinweis auf die berühmte Gobelinfolge der „königlichen Schlösser"
erübrigt sich.
Im zweiten Drittel des 18. Säkulums machen sich in den Wandteppichen Frank-
reichs und der Niederlande vielfach chinesische Anklänge, in Gestalt kleiner Pavillons,
seltsam verschnörkelter Kaskaden, geschwungener Stege und ähnlicher Motive bemerk-
bar. Die Ursache dürfte in den verstärkten Handelsbeziehungen zum Orient zu suchen
sein. Die asiatischen Kompagnien und nicht zum mindesten die Jesuitenmissionare
sorgen für einen regen Austausch der Kunsterzeugnisse beider Weltteile. Französische
Bildteppichfolgen wandern als königliche Geschenke nach China, Japan und Siam;
Seidenstoffe, Lackwaren und Porzellane kehren zurück. Der Herrscher des Drachen-
reiches läßt den Garten seines Sommerpalastes in Yuen-ming-yuen nach dem Systeme
Le Nötres anlegen; die französischen Gärten bevölkern sich mit chinesischen Pavillons
und primitiven Imitationen vielstöckiger, glockenbehangener Pagoden. Das fremdartige
Element gibt die beste Gelegenheit, den Bildteppich mit einer bunten, neuartigen Tier-
welt zu beleben — geflügelte Drachen und Phönixe durchschwirren die Luft —, die
181
Der Pavillon ist ein beliebtes Motiv für den Abschluß des Kanalendes. Der Hof-
architekt Pierre le Muet gibt im zweiten Teile seines Werkes „Maniere de bastir", das
1681 in Paris im Drucke erschien, in Tafel 21 Grundriß und Ansichten „de la teste
du Canal" des Schlosses zu Tanlay. Selbstverständlich hat der Antwerpener Wirker van
der Goten, dem unser Bildteppich (Abb. 165) seine Entstehung verdankt, nicht Tanley
imitiert, Der Patronenmaler kombinierte seine Szenerie für die Geschichte Apolls
nach Plänen und Ansichten bekannter französischer, wohl auch niederländischer Schloß-
anlagen. Der Nachweis, daß mehrfach Architektur- und Gartenwerke mittelbar als
Vorlagen für Wandteppiche dienten, läßt sich unschwer führen. Insbesondere scheinen
die beiden Bände der „Distribution des maisons de plaisance et de la decoration des
6difices en gen^ral" (1737) des Architekten Jacques-Francois Blondel und sein großes
Sammelwerk, das die Grundrisse, Ansichten und Gartenanlagen berühmter französischer
Schlösser bringt (226), mit Vorliebe benutzt worden zu sein. Nicht ganz so verbreitet
waren die Stiche des J. Silvestre, Le Pautre, J. Rigaud, Perelle, N. Langlois und anderer
zeitgenössischer Architekten und Gartenkünstler (227).
Die deutschen Stich werke des 17. Jahrhunderts, in erster Linie die Arbeiten Furtten-
bachs, halten im wesentlichen noch an dem System des Renaissancegartens fest; fast
unvermittelt treten die französischen Anlagen Le Nötres in die Erscheinung. Die Ur-
sachen hegen zum guten Teil in den Wirren und Schäden des Dreißigjährigen Krieges
und seinen Folgeerscheinungen, die eine selbständige Verarbeitung der neu importierten
italienischen und französischen Gedanken nur in beschränktem Maße zuließen. Einen
guten Uberblick über den Ausbau reicher Schloßgärten geben verschiedene Stiche aus
P. Deckers „Fürstlicher Baumeister". Das 18. Jahrhundert macht weit ausgiebiger von
Gartenmotiven Gebrauch wie die voraufgegangene Epoche. Es gibt wenig Brüsseler
Teppiche der Spätzeit, die ihre mythologischen Szenen nicht in Wald oder Garten
verlegen. Zu den schönsten Brüsseler Folgen zählen die Jahreszeitenteppiche. Früh-
ling, Sommer und Herbst werden durch allegorische Gestalten charakterisiert und in
den französischen Garten versetzt. Der Winter kann sich naturgemäß dieses be-
quemen und überaus dekorativen Hilfsmittels nicht ohne weiteres bedienen. Ein Ver-
gleich der Abb. 166 und 167 zeigt, wie wenig glücklich der „Winter" gegenüber dem
„Sommer" gelöst ist.
In den französischen Manufakturen, in erster Linie in Beauvais und Aubusson,
werden die Stickereimuster der „parterres de broderie" in ausgiebigster Weise für
die Bildteppichwirkerei herangezogen. Auch die Gobelins benutzen nicht selten das
eigenartige Motiv. J. Guiffrey bringt in dem Sammelwerk „Les modeles et le Musöe
des Gobelins", Band I, Tafel 22 die Wiedergabe eines Teppichentwurfes von Maurice
Jacques, der aus einem fein detaillierten Parterre, das durch Tiere und Schmuckvasen
belebt wird, einen architektonisch-figürlichen Rahmen aufsteigen läßt; das Mittelfeld
schmückt eine Plakette „Venus auf den Wassern" (228).
Ein besonderer Hinweis auf die berühmte Gobelinfolge der „königlichen Schlösser"
erübrigt sich.
Im zweiten Drittel des 18. Säkulums machen sich in den Wandteppichen Frank-
reichs und der Niederlande vielfach chinesische Anklänge, in Gestalt kleiner Pavillons,
seltsam verschnörkelter Kaskaden, geschwungener Stege und ähnlicher Motive bemerk-
bar. Die Ursache dürfte in den verstärkten Handelsbeziehungen zum Orient zu suchen
sein. Die asiatischen Kompagnien und nicht zum mindesten die Jesuitenmissionare
sorgen für einen regen Austausch der Kunsterzeugnisse beider Weltteile. Französische
Bildteppichfolgen wandern als königliche Geschenke nach China, Japan und Siam;
Seidenstoffe, Lackwaren und Porzellane kehren zurück. Der Herrscher des Drachen-
reiches läßt den Garten seines Sommerpalastes in Yuen-ming-yuen nach dem Systeme
Le Nötres anlegen; die französischen Gärten bevölkern sich mit chinesischen Pavillons
und primitiven Imitationen vielstöckiger, glockenbehangener Pagoden. Das fremdartige
Element gibt die beste Gelegenheit, den Bildteppich mit einer bunten, neuartigen Tier-
welt zu beleben — geflügelte Drachen und Phönixe durchschwirren die Luft —, die
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