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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0241
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Deutung

Der Poet und Historiker plündert, ähnlich wie der Maler, mit Seelenruhe die alten Römer
und Griechen, um moderne Stücke zurecht zu schneiden; mit der gleichen naiven
Frische werden die zeitgenössischen italienischen und spanischen Pastorellen zu neuen
Schöpfungen kompiliert. Der belehrende Zug, der das 16. Säkulum charakterisiert,
behauptet auch in der Zeit des Barocks seine Herrschaft. In den vergleichenden Sprich-
wörtern gelangt er zu einer Art Abschluß. Es ist kein Zufall, daß Jordaens die Kar-
tons zu seiner Sprich Wörterfolge schafft; alte und neue Weisheit, gewissermaßen als
Destillat geboten, entsprach in hohem Maße dem Geiste der Zeit. Es sei nur an die
gelesenste niederländische Sprichwörtersammlang den „Spiegel van den ouden en
nieuwen tyd" erinnert, den 1632 „Vater Cats" der staunenden Mitwelt schenkte. Die
Übertragungen der Aeneis, der Ars amandi und des Festkalenders Ovids lieferten
wiederum den Patronenmalern leicht zu verarbeitenden und das moderne Empfinden
ansprechenden Stoff.

Von griechischen Prosaikern werden außer den Schriften Plutarchs die Kyropädie
des Xenophon und die Anabasis des Arrian, von römischen Literaten die Werke des
Q. Curtius Rufus (Leben Alexanders d. Gr.), des Eutropius (Abriß der gesamten römi-
schen Geschichte), des Justinus (Philippische Geschichte), des Titus Livius (Römische
Geschichte), des Lucanus (Pharsalia), des Sallust (Jugurthinischer Krieg), des Statius
(Epos Thebais) des Suetonius (Kaiserbiographien), des Tacitus (Annalen) und des Sex-
tus Aurelius Victor (Römische Geschichte) benutzt. Odysee und Ilias kommen erst
verhältnismäßig spät in Aufnahme.

Der geringe Einfluß, den die zeitgenössischen Dramen und Tragödien auf die Pa-
tronenmalerei ausüben, wurde bereits gestreift. Die Versuche, einzelne Folgen, z. B.
die Kleopatrareihe, mit den gleichnamigen Tragödien Garniers oder Jodelles in Ver-
bindung zu bringen, mißlangen. Das Ergebnis führte immer wieder auf Plutarchs
Antonius. Charakteristische Einzelheiten, wie der Schatten des Antonius, der im ersten
Akte des Jodelleschen Stückes erscheint und der schlafenden Ägypterkönigin den bal-
digen Tod kündet, das Gespräch Kleopatras mit ihren Dienerinnen, das Auftreten
Octavians mit Agrippa und Proculeus; kurz alle neuzeitlich umgearbeiteten Details,
fehlen in den Behängen.

Das gleiche negative Ergebnis erzielte ein Vergleich von alttestamentlichen Teppich-
reihen, z. B. der Davidfolge, mit zeitgenössischen Stücken, etwa dem David des An-
toine de Montchretien (243).

Auch die zahlreichen Tragödien Corneilles, Horace (1640), Rodogune (1644) und all
die anderen, blieben für die Folgen des 17. Jahrhunderts ohne Einfluß. Racines Athalie
(1691) und Bajazet (1672) bedurften erst eine Spanne von rund einem halben Jahr-
hundert, ehe sie in der Gobelinreihe der „Scenes de l'Opera, deTragedie et de Comedie
(1747—1749)" eine Auferstehung erlebten.

Für vereinzelte Aubussonfolgen scheinen Schriften der Zeit einen gewissen, wenn
auch nur unbedeutenden Einfluß gewonnen zu haben. Die große Masse der flämischen
und brabantischen Teppiche bleibt jedenfalls von den Tragödien, Tragikomödien und
Dramen unberührt.

Völlig anders gestaltet sich das Bild, sobald wrir zu dem Lieblingsthema der Bild-
wirkerei des 17. Säkulums, zu den Pastoralteppichen gelangen. Der steinige, unfrucht-
bare Wreg durch das Gebiet der ernsten Poesie endet; lebhaft sprudeln die Quellen
der heiteren Muse. Schon die zeitgenössischen Inventare bringen Belege in Hülle und
Fülle. Der Orlando Furioso nach Ariost erscheint nicht weniger wie rund zwTanzigmal
in den von mir durchgesehenen Nachlaß- und Aufnahmeverzeichnissen. Bereits das
Inventar Florimond Robertets (1532) kennt den „Roland le Furieux". Die Folge muß
bereits kurze Zeit nach dem Erscheinen der Dichtung (1516) entstanden sein. Mehr
wie ein Jahrhundert später benennt die Vermögensaufstellung Colberts (1683) außer
dem Pastor Fido eine aus sieben Teppichen bestehende Rolandserie. Noch in der
zweiten Hälfte des 18. Säkulums beweist der Orlando furioso seine alte Anziehungs-
kraft. Guarinis „II Pastor fido" steht ihm wenig nach, seltener erscheint schon die

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