T o ii r n a i
Die Sammlung des Münchener Residenzschlosses besitzt ferner einen typischen
Tournaiser Jagdteppich. Im Vordergrunde spielt sich das Saustechen ab; im Hinter-
grunde erklimmt ein Jagdgenosse einen Orangenbaum; die sattsam bekannten Arbeiter
entfernen mit sichelartigen Messern das Unterholz (Abb. 244).
Die vordere Szene zeigt, mit Ausnahme eines Baumes und mehrerer trübseliger
Stummel, eine beängstigende Leere. Die Zeichnung läßt manches zu wünschen übrig.
Die Bordüre — eine wenig glückliche Nachahmung der gleichzeitigen prächtigen
Brüsseler Blumen-Trauben-Fassung — arbeitet mit ziemlich groben Mitteln.
Fragmente der späteren Tournaiser Holzhauerteppiche sind nicht allzu selten.
Eine besondere Gattung stellen die allegorischen Behänge dar. Die Hamburger-
Kunsthandlung Jakob Hecht besaß vor etwa drei Jahren ein eigenartiges Stück, dessen
technische und stilistische Merkmale die Zuschreibung an eine Tournaiser Manufaktur
rechtfertigen. Opulentia, Dignitas und Pulchritudo halten Gericht über Amor. Zwei-
zeiler erläutern das Motiv in ziemlich nichtssagender Weise. Die Bordüre bringt das
bekannte schematische Muster; Ranken tragen Weinreben und Rosenblüten (Abb. 246).
Die Darstellung ist eine späte Variation der Petrarcaschen Triumphe, ohne jedoch
das wesentliche Moment, den Siegeswagen, zu verwerten. Hier wie dort treten be-
rühmte Personen des Altertums als Zeugen auf. Es fehlt weder der kniende König
David noch der bucklige Poet Acsopus.
Eine kleine Tournaiser Allegorie besaß die Münchener Kunsthandlung L. Bernheimer;
das Homo-Motiv wurde durch sieben, zumeist der Mythologie entnommene Persönlich-
keiten illustriert. Symbolisierungen religiöser Art bringt ein Behang im Besitze der
Berliner „Altkunst" (Abb. 247). „Synagogia", mit verbundenen Augen und zerbrochener
Lanze, hat ihre Macht verloren; die Kirche, mit dem Gefäße des Glaubens, herrscht
über die Herzen der Menschen.
Weniger häufig haben sich die, in der Geschichte der Tournaiser Bildwirkerei mehr-
fach erwähnten Wildeleut-Teppiche erhalten. Das schönste Exemplar dieser Art be-
sitzt das Germanische Nationalmuseum zu Nürnberg (Abb. 249).
Es handelt sich augenscheinlich um eine Episode aus einem Ritterroman. Ein ge-
panzerter Held, dessen Körper in einen Fischschwanz ausläuft, hat eine der wilden
Frauen geraubt; mit wuchtigen Schwerthieben sucht er die auf ihn eindringenden wilden
Männer sich vom Halse zu halten. Der Kampf spielt sich im Vordergrunde ab; den
größten Teil des Bildes nimmt der von einem Quell durchströmte, in der Art des
„verger d'honneur" umzäunte Orangengarten ein. Ob das Stachelschwein, das zum
Trunk an den kleinen Wasserlauf eilt, in Beziehungen mit König Ludwig XII. von
Frankreich (1498—1515), dem Stifter des Stachelschweinsordens, zu bringen ist, sei
dahingestellt,
Wahrscheinlich hat der Patronenmaler, wie so oft in Tournaiser Teppichen, seiner
Freude an exotischen Tieren freies Spiel gelassen. Die Bordüre zeigt in symmetrischer
Anordnung das durch Bänder zusammengehaltene Ranken werk. Der Teppich ent-
stammt der Zeit um 1515.
Die Entwickelung der Tournaiser Bildwirkerei erwähnt bereits in der Frühzeit des
öfteren „menues verdures ä bestes"; das 16. Jahrhundert fügt die „tapisserie grande
verdure" als neues Moment hinzu. Im ersteren Falle handelt es sich zumeist um hin-
gestreutes blühendes Gezweig „semees de feuilles de mourier", „de feuillage de vigne"
(1353), „de rainsseaulx en maniere de feuilles de figuier", „seme desdictes fleurs de liz
d'or et branches de petites genestres", „ä vuignettes" (Weinblätter), „de rainceaulx
de roses et boutons" (1422); selbstverständlich fehlt auch die Distel nicht. Die Art
der Dekoration entspricht der Lösung, die für die Bildteppiche und Verdüren der
Tourainer Manufakturen charakteristisch erscheint; wir finden sie in den bekannten
allegorischen Behängen der Sammlung Martin Le Roy, den berühmten Teppichen des
Schlosses Boussac „Dame nnd Einhorn" und anderen mehr.
Die späteren Verdüren von Tournai arbeiten nach einem anderen Prinzip — das im
übrigen von den Ateliers der Touraine gleichfalls kopiert wurde —; sie decken den
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Die Sammlung des Münchener Residenzschlosses besitzt ferner einen typischen
Tournaiser Jagdteppich. Im Vordergrunde spielt sich das Saustechen ab; im Hinter-
grunde erklimmt ein Jagdgenosse einen Orangenbaum; die sattsam bekannten Arbeiter
entfernen mit sichelartigen Messern das Unterholz (Abb. 244).
Die vordere Szene zeigt, mit Ausnahme eines Baumes und mehrerer trübseliger
Stummel, eine beängstigende Leere. Die Zeichnung läßt manches zu wünschen übrig.
Die Bordüre — eine wenig glückliche Nachahmung der gleichzeitigen prächtigen
Brüsseler Blumen-Trauben-Fassung — arbeitet mit ziemlich groben Mitteln.
Fragmente der späteren Tournaiser Holzhauerteppiche sind nicht allzu selten.
Eine besondere Gattung stellen die allegorischen Behänge dar. Die Hamburger-
Kunsthandlung Jakob Hecht besaß vor etwa drei Jahren ein eigenartiges Stück, dessen
technische und stilistische Merkmale die Zuschreibung an eine Tournaiser Manufaktur
rechtfertigen. Opulentia, Dignitas und Pulchritudo halten Gericht über Amor. Zwei-
zeiler erläutern das Motiv in ziemlich nichtssagender Weise. Die Bordüre bringt das
bekannte schematische Muster; Ranken tragen Weinreben und Rosenblüten (Abb. 246).
Die Darstellung ist eine späte Variation der Petrarcaschen Triumphe, ohne jedoch
das wesentliche Moment, den Siegeswagen, zu verwerten. Hier wie dort treten be-
rühmte Personen des Altertums als Zeugen auf. Es fehlt weder der kniende König
David noch der bucklige Poet Acsopus.
Eine kleine Tournaiser Allegorie besaß die Münchener Kunsthandlung L. Bernheimer;
das Homo-Motiv wurde durch sieben, zumeist der Mythologie entnommene Persönlich-
keiten illustriert. Symbolisierungen religiöser Art bringt ein Behang im Besitze der
Berliner „Altkunst" (Abb. 247). „Synagogia", mit verbundenen Augen und zerbrochener
Lanze, hat ihre Macht verloren; die Kirche, mit dem Gefäße des Glaubens, herrscht
über die Herzen der Menschen.
Weniger häufig haben sich die, in der Geschichte der Tournaiser Bildwirkerei mehr-
fach erwähnten Wildeleut-Teppiche erhalten. Das schönste Exemplar dieser Art be-
sitzt das Germanische Nationalmuseum zu Nürnberg (Abb. 249).
Es handelt sich augenscheinlich um eine Episode aus einem Ritterroman. Ein ge-
panzerter Held, dessen Körper in einen Fischschwanz ausläuft, hat eine der wilden
Frauen geraubt; mit wuchtigen Schwerthieben sucht er die auf ihn eindringenden wilden
Männer sich vom Halse zu halten. Der Kampf spielt sich im Vordergrunde ab; den
größten Teil des Bildes nimmt der von einem Quell durchströmte, in der Art des
„verger d'honneur" umzäunte Orangengarten ein. Ob das Stachelschwein, das zum
Trunk an den kleinen Wasserlauf eilt, in Beziehungen mit König Ludwig XII. von
Frankreich (1498—1515), dem Stifter des Stachelschweinsordens, zu bringen ist, sei
dahingestellt,
Wahrscheinlich hat der Patronenmaler, wie so oft in Tournaiser Teppichen, seiner
Freude an exotischen Tieren freies Spiel gelassen. Die Bordüre zeigt in symmetrischer
Anordnung das durch Bänder zusammengehaltene Ranken werk. Der Teppich ent-
stammt der Zeit um 1515.
Die Entwickelung der Tournaiser Bildwirkerei erwähnt bereits in der Frühzeit des
öfteren „menues verdures ä bestes"; das 16. Jahrhundert fügt die „tapisserie grande
verdure" als neues Moment hinzu. Im ersteren Falle handelt es sich zumeist um hin-
gestreutes blühendes Gezweig „semees de feuilles de mourier", „de feuillage de vigne"
(1353), „de rainsseaulx en maniere de feuilles de figuier", „seme desdictes fleurs de liz
d'or et branches de petites genestres", „ä vuignettes" (Weinblätter), „de rainceaulx
de roses et boutons" (1422); selbstverständlich fehlt auch die Distel nicht. Die Art
der Dekoration entspricht der Lösung, die für die Bildteppiche und Verdüren der
Tourainer Manufakturen charakteristisch erscheint; wir finden sie in den bekannten
allegorischen Behängen der Sammlung Martin Le Roy, den berühmten Teppichen des
Schlosses Boussac „Dame nnd Einhorn" und anderen mehr.
Die späteren Verdüren von Tournai arbeiten nach einem anderen Prinzip — das im
übrigen von den Ateliers der Touraine gleichfalls kopiert wurde —; sie decken den
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